pavel florenskij

der pfeiler und die

grundfeste der wahrheit

 

 

 

 

zwölfter brief:

die eifersucht

[...] die Betrachtung der Liebe überhaupt und der Freundschaft im besonderen in ihrer konkreten Lebendigkeit führt uns unvermeidlich zur Frage nach einer Erscheinung, welche mit ihnen eng verbunden ist - zum Problem der Eifersucht. Daß diese Frage nach ihrer Wichtigkeit praktisch auf den ersten Plan tritt - darüber kann wohl kaum eine Meinungsverschiedenheit bestehen. Aber ihre theoretische Wichtigkeit wird, wie mir scheint, von den meisten Denkern nicht genügend erkannt: in der philosophischen Literatur ist der Begriff der Eifersucht irgendwohin auf den Hinterhof verwiesen, und man würdigt sie nur selten eines Blickes. Eben darum scheint es mir notwendig, in das Wesen der Eifersucht tiefer einzudringen. [...]
Was also ist die Eifersucht?
In dem gangbaren Wortgebrauch unter den Gebildeten wird die Eifersucht als ein Laster aufgefaßt, oder zum mindesten als ein unstreitig sittlicher Mangel - als etwas Schimpfliches und Belachenswertes. Die Gebildeten pflegen den Hochmut, die Eitelkeit, die Selbstliebe, das Mißtrauen, den Argwohn - kurz, alles nur irgend mögliche, nur nicht einen moralischen Vorzug als Grundlage der Eifersucht zu betrachten. Diese Anschauung von der Eifersucht ist besonders jenem Jahrhundert eigentümlich, welches vorzugsweise revolutionär und intellektualistisch war - dem 18. Jahrhundert; und die Eifersucht wird insbesondere an jenem Orte verdammt, wo die aufklärerische Verstandesmäßigkeit am unduldsamsten herrschte - in Paris.
[...]
Der alltäglichen Auffassung gemäß ist die Eifersucht ein für die Liebe schädlicher und häßlicher Auswuchs; die Ursachen der Eifersucht sind dem Wesen der Liebe fremd, und darum wird sie als ein aus der Liebe zu Entfernendes beurteilt. Spinoza sieht eine engere Verbindung zwischen Liebe und Eifersucht; für ihn ist die Eifersucht kein zufälliger Begleiter der Liebe, sondern ein treuer Schatten, der auf dem Feuerschirm des Seelenlebens jedesmal erscheint, wenn die Liebe vom Verrat des Geliebten beleuchtet wird; oder, genauer, die Eifersucht ist nach Spinoza ein notwendiges Äquivalent der Liebe, welches bei einer Wendung der Beziehungen zum Schlechteren entsteht. Die Liebe verschwindet nicht, sondern sie verwandelt sich in Eifersucht. Jedoch auch hier, auf dem Boden der Spinozaschen Analyse, ist eine Liebe ohne Eifersucht - bei vollkommener Gegenseitigkeit - denkbar, so daß die Eifersucht - wenn auch unter gewissen Umständen psychologisch notwendig - in den Augen Spinozas eine negative Bewertung erhält als animi fluctuatio, als Verdunkelung des Bewußtseins, als unbezähmbare Leidenschaft. Die Eifersucht in der Liebe ist für Spinoza keine Liebe; und darum ist die Eifersucht tadelnswert als mit der Liebe ungleichartig, als Nichtliebe, obwohl sie mit der Liebe in ursächlicher Beziehung, in der Beziehung der Äquivalenz steht. So bleibt denn auch Spinoza alles in allem bei der üblichen Auffassung der Eifersucht. Weshalb kam das?
Um auf die gestellte Frage zu antworten, wollen wir uns an den leblosen und dinghaften Charakter der ganzen Philosophie Spinozas erinnern. Da Spinoza keine Kategorie der Persönlichkeit hat, kann er die Liebe zur Person und das Begehren nach einem Ding nicht unterscheiden, - verwechselt er Liebe und Begierde oder, genauer, er vertauscht jene durch diese. Überall lesen wir bei ihm das unpersönliche res amata - was man übersetzen muß: "das begehrte Ding", denn ein Ding kann nicht geliebt werden; ja, "res amata", - aber nirgends ist die Rede von der geliebten Persönlichkeit, von der Persönlichkeit, welcher allein das Epitheton "geliebte" beigelegt werden kann. Wohl kann man in der zeitgenössischen Gesellschaft nicht selten Redensarten hören wie "Konfitüren, die ich liebe", "ich liebe Zigarren", "ich liebe das Kartenspiel" u.a.m., aber für jeden normalen Menschen ist klar, daß dies entweder eine Verzerrung und Verdunkelung des Bewußtseins ist, oder aber eine Vergewaltigung der Sprache. "Konfitüren", "Zigarren", "Karten" usw. kann man nicht lieben, sondern nur begehren. Aber das Korrelat des Begehrens sind Haß und Neid; eben darum erhält bei Spinoza das tadelnswerte Moment des Hasses und des Neides im Anfangs-Begriff der Liebe eine solche Betonung. Aber, wie die Liebe kein Begehren ist, gerade so sind auch Haß und Neid keine Eifersucht, obwohl sich letztere gerade so zu dem verhält, was Spinoza unter Eifersucht versteht, wie die wahre Liebe zum Begehren. Um die Eifersucht in ihrem eigenen Wesen zu verstehen, muß man sie noch enger mit der Liebe verbinden, sie in das Herz der Liebe einführen und, indem man die persönliche Natur der Liebe betont, aufzeigen, daß die Eifersucht die Liebe selbst aber in ihrem "Anders-sein" ist; wir müssen aufdecken, daß die Eifersucht eine notwendige Bedingung und eine unabänderliche Seite der Liebe ist - die sich aber dem Kummer zuwendet - so daß, wer die Eifersucht vernichten wollte, auch die Liebe vernichten würde. Gerade so sind auch im Begehren stets Haß und Neid.
Um dies zu zeigen, muß man vor allem von der Eifersucht das auf ihr lastende Moment des Tadels fortnehmen. Die Eifersucht ist so oft mit gewissen unziemlichen Arten ihrer Manifestation verwechselt worden, daß sogar die Ausdrücke: "Eifersucht"' "eifersüchtig sein", und "eifersüchtig" -von "Eifersüchtler" ganz zu schweigen - zu Worten des Tadels wurden.
Und dennoch ist es gerade so unrichtig, das Wesen der Eifersucht in dem Argwohn, in der kleinlichen Eigenliebe, in dem Mißtrauen, in der Mißgunst, in der Bosheit, in Haß und Neid u.a.m. zu sehen, wie das Wesen der Liebe in dem Verweigern der Freiheit, in der Parteilichkeit, in der Ungerechtigkeit u.a.m. zu suchen, oder in der Kälte, Hartherzigkeit, Rauheit, Grausamkeit das Wesen der Gerechtigkeit zu erblicken. Der Argwohn, Haß und Neid usw. - das alles sind schlechte, unziemliche, egoistische Manifestationen der Eifersucht, die infolge einer Vermischung der Liebe mit dem Begehren erzeugt werden. Zwei Reihen historischer Data weisen indessen auf die Untadelhaftigkeit und nicht nur auf die Untadelhaftigkeit, sondern geradezu auf die Positivität, auf das Sein-sollende der Eifersucht hin. In der Tat redet erstens ein Volk mit reinstem Gottesbewußtsein, das auserwählte jüdischen Volk, welches klarer als irgendein anderes die Göttliche Liebe kannte und begriff, beharrlich, unaufhörlich, ohne Schwanken immerfort von der Göttlichen Eifersucht. Die ganze Bibel ist von der Göttlichen Eifersucht gesättigt und durchtränkt, und es ist unmöglich, nicht damit zu rechnen. Zweitens aber hat das Volk der reinsten Menschlichkeit, das geniale Volk der Hellenen, welches vor allen anderen die menschliche Liebe in allen ihren Arten kannte und erfaßte, wiederum in allem den Zug der Eifersucht als Grundzug, als den für es am meisten charakteristischen, von ihm nicht abzutrennenden Zug. In seinen Skizzen zur Betrachtung "Wir Philologen" merkt F. Nietzsche unter drei "ausgewählten Punkten aus dem Altertum" zur Ausarbeitung vor: "Die Veredelung der Eifersucht, die Griechen sind das eifersüchtigste Volk." Und auch damit muß man rechnen. Wenn der klarste Genius und der reinste Glaube uns die Eifersucht als positive, im Wesen sowohl der menschlichen als auch der Göttlichen Liebe notwendige Kraft zeigen, so hat sie auch diese Beschaffenheit, und ist nicht identisch mit den sie begleitenden sekundären Leidenschaften.
Was aber ist denn in einem solchen Falle die Eifersucht selbst? Sie ist eines der Momente der Liebe, das Fundament, der Hintergrund der Liebe, die ursprüngliche Finsternis, aus welcher der Strahl der Liebe aufleuchtet. Die Liebe ist eine freie Auswahl: aus vielen Persönlichkeiten erwählt das Ich durch einen Akt der inneren Selbstbestimmung eine, und zu dieser - einer unter vielen - stellt sie eine Beziehung fest als zur einzigen, hängt ihr seelisch an. Sie - die gewöhnliche - will das Ich als eine ungewöhnliche betrachten; sie - die graue - als eine feiertägliche, sie - die alltägliche - als ein Fest. Sie steht in der Masse, aber das Ich ruft sie heraus und führt sie in die geschmückte Kammer seines Herzens. Das Ich zeichnet ihr Bild auf einem aus Gold geprägten Felde. Und das ist gerecht, denn dieses Bildnis ist keine Karikatur, wie sie von den Menschen meistens gezeichnet wird; das ist sogar kein von Weisen gemaltes Porträt. Das ist ein Bild vom göttlichen Bildnis - eine Ikone. Indem das Ich die "Gerechtigkeit" des Identitätsgesetzes durch einen metaphysischen Akt der Selbstbestimmung - nicht durch den Verstand, sondern durch sein ganzes Wesen - verletzt, beschließt es, in der erwählten Persönlichkeit - einer unter vielen - eine ausschließliche, aus der Reihe der übrigen hervorragende zu sehen; kurz, es gestaltet seine Beziehungen zu der erwählten so, daß diese Persönlichkeit für es zu einem Du wird. Die Freundschaft, ich wiederhole es, ist ausschließend, wie auch die eheliche Liebe ausschließend ist. "Vieles" - ist ein Merkmal der Unvollkommenheit des Objekts der Liebe als solche, ein Merkmal der Unabgeschlossenheit des Du als Du. Viel-Ehe und Viel-Freundschaft sind ihrer Idee nach falsch und müssen unvermeidlich in etwas Persönliches übergehn - erstere in Ein-Ehe, letztere in Ein-Freundschaft, oder sie müssen sich vollständig zersetzen und verfaulen, erstere in die Beziehung der Begierde, letztere in die Beziehung der Gewinnsucht, d.h. sie müssen aus halbpersönlichen zu dinghaften werden. "Man kann nicht", so sagt Aristoteles, "ein Freund vieler sein, sofern man die vollkommene Freundschaft im Auge hat, gerade so, wie man nicht gleichzeitig in viele verliebt sein kann. Eine solche Freundschaft erscheint als Vollkommenheit und kann als solche nur einem Menschen zugewandt sein."
Wenn man hier aber auch sagen sollte, daß es solcher geliebter Du "viele" gäbe, so ist doch die Beziehung zu einem jeden bei der Liebe wie zum einzigen. Jede Liebe hat in ihrem Wesen eine erwählende Kraft, ist dilectio, und darum ist der Geliebte stets der auserwählte, einzige. Ebendarin liegt die persönliche Natur der Liebe, ohne welche wir es mit einem dinghaften Begehren und einer gleichgültigen Ersatzmöglichkeit des begehrten Dinges durch ein ihm gleiches zu tun hätten. Die Forderung der numerischen Identität der geliebten Persönlichkeit auch bei einem Fehlen der generischen Identität, der Merkmalsidentität, d.h. die Treue für die Persönlichkeit auch bei ihrer Veränderung, charakterisiert die Liebe und zugleich die Verletzung des Identitätsgesetzes durch sie, während die Forderung der generischen, der Merkmals-Identität des begehrten Dinges - bei der Gleichgültigkeit zur numerischen Identität, sogar bei ihrem Nicht-Begreifen - und darum die Beobachtung des Identitätsgesetzes die Begierde charakterisiert. Das Bewußtsein der Einzigkeit, das ist die Bedingung der Liebe selbst in ihren unvollkommensten Manifestationen; mehr als das, sogar für die Illusion der Liebe ist, wenn nicht die Einzigkeit, so doch wenigstens die Illusion der Einzigkeit, der Unwiederholbarkeit, der Ausschließlichkeit notwendig, wenn auch er, der Liebende, das geliebte Wesen ebenso grundlos für einzig halten sollte, wie jede erste Liebe sich in der Welt und der Geschichte stets für einzig hält, wie sich jeder von den "einzig rechtmäßigen" Erben und Interpreten Kants irrtümlich für den einzigen hält, wie endlich der "Einzige" Stirners sich fälschlich als einzigen behauptet. Anders ist selbst die Illusion der Liebe nicht möglich, und es werden in den Beziehungen nur Gewinnsucht, Unflat und Tod sein. Der Gedanke selbst von der Möglichkeit eines Ersatzes der einen Person durch die andere ist, da er sich auf die Anerkennung der Homoiusie, d.h. der Dinghaftigkeit stützt, ein sündhafter Gedanke, der zum Tode führt.
Durch einen unbegreiflichen Akt der Erwählung ist die Persönlichkeit zu einer einzigen gemacht, zum hohen königlichen Rang des Du berufen. Sie hat sich mit dieser Erwählung einverstanden erklärt. Sie hat "JA" gesagt und sich die Krone der Majestät aufgesetzt. Was will denn nun das Ich? Nur das eine: was es früher gewollt hatte - seine Liebe. Das Ich behauptet den Akt seiner Liebe als dem Werte nach ewig und fordert somit seine Dauerhaftigkeit und Unabänderlichkeit. Diese innere Behauptung bringt sich zum Ausdruck als Eifersucht oder Eifer, seinen ewigen Akt der Erwählung des geliebten Du in der Zeit zu inkarnieren. Das Ich wünscht, daß das Du es nicht in seiner Liebe störe, d.h. daß es in bezug auf es wirklich ein Du sei. Das geliebte Du soll sich als einziges gebärden; es soll von dem Piedestal seiner Aussonderung, Isolierung und Erwählung nicht herabsteigen. Es hat nichts zu sagen, wenn das erwählte Ich in der Masse und für die Masse das Durchschnittlichste ist. Aber für das Ich, für den Erwählenden, soll es eben ein Du sein und nichts anderes als ein Du: anders wäre die Liebe selbst unmöglich, anders könnte der Akt der Erwählung selbst sich nicht in der Zeit inkarnieren. Anders wird die "Zeit" der Liebe kein "bewegliches Bild der Ewigkeit", der Erwählung sein. Das Du muß sich in bezug auf das Ich als ein Du gebärden, nicht aber wie eines von vielen - es soll geschmückt sein mit der Königskrone und nicht mit der Nachtmütze. Das Bewußtsein seitens des Du von dieser Notwendigkeit für die Möglichkeit der Liebe zieht den Wunsch nach sich, diese Erwählung zu verwirklichen und sie alsdann zu befestigen und zu bewahren. Das alles zusammen genommen ist eben die Eifersucht.
Wenn aber das Du dies nicht will, wenn es hartnäckig seinen Rang und seine hohe Position, die es freiwillig annahm, verletzt? Wenn es, nachdem es das Angebot der neuen Wesenheit - des Du - mit einem "JA" beantwortet hat, aus Leichtsinn oder Eigensinn oder aus Mangel an Aufrichtigkeit in dem auf sich genommenen hohen Lose durch sein Leben zeigt, daß das Ich für es nicht Ich ist? Wenn es bei dem Wunsche, Du zu sein, das Ich nicht für ein Ich anerkennen will? Dann kann und soll das Ich entgegen wirken. Diese Gegenwirkung ist eine Manifestation der Eifersucht - der Eifersucht auf die eigene Liebe, d.h. der Sorge um die Unbeflecktheit, Echtheit, endlich um die Bewahrung dieser Liebe. Diese Forderung vom Du im Namen selbst der Möglichkeit der Liebe zieht den Wunsch nach sich, diese Erwählung zu verwirklichen, zu befestigen und zu schützen. Das alles zusammen, ich wiederhole es, ist die Eifersucht. Eines von beiden: entweder muß das Du diese Gegenwirkung, diesen Kampf um die Liebe, diese Eifersucht anerkennen und sich ändern, oder aber, es muß sich von seinem Rang lossagen, sich für ein nur Durchschnittliches anerkennen, von dem Thron in die graue Masse, von dem Fest in die alltägliche Umgebung zurückkehren.
Das Ich kann nicht lieben und nicht eifersüchtig sein, wenn das Du faktisch aufhört, ein Du zu sein, d.h. es kann nicht auf das Streben verzichten, es wieder zu einem Du zu machen. Wenn ihm daher das Recht und die Pflicht der Eifersucht nicht zugestanden werden, so bleibt ihm nichts übrig, als das Du von seinem Thron herabzustoßen. Das Ich muß das Du vergessen, aufhören, es zu lieben, denn nur auf diesem Wege kann das Du von der Forderung der Gegenliebe befreit werden. Aber das Du ist in das Ich hineingewachsen, zu seinem Teil geworden. Aufhören zu lieben, das bedeutet, seines Teiles verlustig gehn. Vergessen, das bedeutet, ein Stück lebendigen Fleisches von sich abtrennen. Das eben geschieht, wenn man, die fremde Freiheit achtend, aus dem Herzen die Liebe mit dem Herzen selbst ausreißen muß.
Die Liebe ist grenzenlos; sie ist weder räumlich noch zeitlich begrenzt, sie ist universal. Aber diese Universalität der Liebe schließt ihre Absonderung, ihre Abgeschiedenheit und Isolierung nicht nur nicht aus, sondern setzt sie sogar voraus. Denn die Liebe hat das Heiligtum der Seele zu ihrer Wurzel und ist nur insoweit möglich, als dieses Heiligtum lebendig ist. Das Kleinod der Seele behüten, heißt die Liebe selbst behüten; sein Heiligtum vernachlässigen, heißt die Liebe selbst vernachlässigen. Die Liebe ist nicht nur universal, sondern auch begrenzt; sie ist nicht nur unermeßlich, sondern auch abgeschlossen. Das vom Herrn selbst darüber gesagte Wort läßt man jetzt nicht gelten und erachtet es als hart und grausam; aber, was am merkwürdigsten ist, es steht in der "Mutter aller Bücher" - im Evangelium - unmittelbar nach dem Wort vom Nichtrichten des Nächsten und dem Gleichnis vom Balken und vom Splitter im Auge. "Du Heuchler zieh am ersten den Balken aus deinem Auge; darnach siehe zu, wie du den Splitter aus deines Bruders Auge ziehest!" (Matth. 7, 5) Und mit diesem Gedanken begegnet sich antithetisch, als richte sich Spitze gegen Spitze: "Ihr sollt das Heiligtum nicht den Hunden geben und eure Perlen sollt ihr nicht vor die Säue werfen, auf daß sie dieselben nicht zertreten mit ihren Füßen und sich wenden und euch zerreißen." (Matth. 7, 6) Als erläutere er diesen Ausspruch, lehrt uns der hl. Serafim von Sarow: "Was das Beste im Herzen ist, das sollen wir ohne Notwendigkeit nicht an den Tag legen; eröffne nicht allen das Geheimnis deines Herzens."
Also: einerseits "richte nicht", aber anderseits "halte jene für Hunde und Schweine", welche nicht würdig sind, das Geheimnis deines Herzens zu erfahren. Eröffne es nur einigen Auserwählten, die aus der Schweineherde ausgesondert sind. Das ist eine Antinomie, aber diese Antinomie ist fast gleichbedeutend mit der Antinomie Liebe-Eifersucht.
[...]
Aus der gegebenen Analyse des Begriffs der Eifersucht ist ihre engste Verbindung mit der Überwindung des Identitätsgesetzes, dieses Grundpfeilers des Verstandes ersichtlich. Hieraus ist begreiflich, warum die Eifersucht sogar in ihren reinsten Manifestationen den scheelen Blick der Mißgunst seitens des Verstandes auf sich zieht, warum der "gesunde Verstand" und dessen blutsverwandte Tochter, der Spott, sich so gerne über die Eifersucht lustig machen, sogar wenn letztere in abstracto, im Prinzip genommen wird. Wie die Liebe, so kämpft auch die Eifersucht - die andere Liebe - mit dem Verstand, indem beide durch ihren Andrang seinen Hauptteil, das Identitätsgesetz, durchbrechen. In diesem Sinne ist die Eifersucht tief ungerecht. Wenn die Unbesonnenheit der Eifersucht ihr den intellektuellen Tadel als einer "Ungereimtheit" zuzieht, so fordert diese Ungerechtigkeit der Eifersucht ihrerseits ihre gereizte moralische Bewertung als einer "unsittlichen" Erscheinung heraus. Das ist ein weiterer Grund für die Verdunkelung des hier zergliederten Begriffs der Eifersucht.
[...]

[Übersetzung Nikolai von Bubnoff]

 

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