[...]
Die letzten Dinge! Wer weiß aber nicht, daß sich
gegenwärtig in jede Seele ein mehr oder weniger vulgärer
Origenismus eingeschlichen hat - die geheime Gewißheit
einer endgültigen "Vergebung" durch Gott?
So oft gestehen das Menschen der verschiedensten Stände
und Stellungen ein, daß man auf den Gedanken kommt: "Darin
liegt eine innere Unvermeidlichkeit". Und in der Tat ist
hier etwas Unvermeidliches. Das Bewußtsein geht von der
Idee Gottes als der Liebe aus. Die Liebe kann nicht schaffen,
um zu vernichten - erbauen in der Voraussicht des Unterganges;
die Liebe kann nicht nicht vergeben. In dem Glanze der grenzenlosen
Göttlichen Liebe zerstreut sich wie der Nebel in den Strahlen
der sieghaften Sonne die Idee der Vergeltung an der Kreatur und
allem Kreatürlichen. Unter dem Gesichtspunkt der Ewigkeit
wird alles vergeben, alles vergessen: "Gott wird sein alles
in allen" (1. Kor. 15, 28). Kurz: die Unmöglichkeit
der allgemeinen Errettung ist nicht möglich.
So erscheint die Sache von der Höhe der Idee Gottes aus
gesehen. Doch wenn wir uns auf den damit verknüpften Standpunkt
stehlen, wenn wir nicht von Gottes Liebe zur Kreatur,
sondern von der Liebe der Kreatur zu Gott ausgehen, so kommt
dasselbe Bewußtsein unvermeidlich zu dem diametral entgegengesetzten
Schluß. Das Bewußtsein kann nicht zugeben, daß
eine Rettung ohne Erwiderung der Liebe Gottes möglich sei.
Da aber die Annahme unmöglich ist, daß die Liebe unfrei
sei, daß Gott die Kreatur zur Liebe gezwungen habe, so
folgt hieraus unvermeidlich der Schluß: es ist möglich,
daß Gottes Liebe ohne Erwiderung durch die Kreatur bleibt,
d.h. die Unmöglichkeit der allgemeinen Errettung ist
möglich.
Die Thesis - "die Unmöglichkeit der allgemeinen
Rettung ist nicht möglich" und die Antithesis -
"die Unmöglichkeit der allgemeinen Rettung ist möglich"
- sind offenkundig antinomisch. Aber, wird die Liebe Gottes
anerkannt - so ist die Thesis unvermeidlich, und wird die Freiheit
der Kreatur, die eine notwendige Folge der Liebe Gottes ist,
anerkannt - so ist die Antithesis unvermeidlich. Die Idee des
Dreieinigen Gottes als wesentlicher Liebe entfaltet sich in bezug
auf die Idee der Kreatur in den sich gegenseitig ausschließenden
Begriffen der Vergebung und der Vergeltung, der
Rettung und des Verderbens, der Liebe und der Gerechtigkeit,
des Erlösers und des Bestrafers - in Aspekten, die sich
verstandesmäßig ebensowenig miteinander vertragen
wie die Dreiheit mit der Einheit im inner-Göttlichen Leben.
Der Göttlichen Einheit entspricht die Vergeltung, der Dreiheit
aber - die Vergebung. So haben wir auch historisch den strengen
Monarchianismus und den nachsichtigen Tritheismus.
Wenn die Freiheit des Menschen die echte Freiheit der
Selbstbestimmung ist, so ist ein Vergeben des bösen Willens
unmöglich, da er ein schöpferisches Produkt dieser
Freiheit ist. Den bösen Willen nicht für einen bösen
halten, wäre gleichbedeutend mit der Nichtanerkennung der
Echtheit der Freiheit. Wenn aber die Freiheit nicht echt ist,
so ist auch die Liebe Gottes zur Kreatur nicht echt; wenn es
keine reale Freiheit der Kreatur gibt, dann gibt es auch
keine reale Selbstbeschränkung der Gottheit bei der
Schöpfung, gibt es keine "Erschöpfung" und
folglich keine Liebe. Wenn es aber keine Liebe gibt, so gibt
es auch keine Vergebung.
Im Gegenteil, wenn es eine Göttliche Vergebung gibt, so
gibt es auch eine Göttliche Liebe und folglich eine echte
Freiheit der Kreatur. Wenn es aber eine echte Freiheit gibt,
so ist auch ihre Folge - die Möglichkeit des bösen
Willens - unvermeidlich und folglich auch die Unmöglichkeit
der Vergebung.
Die Verneinung der Antithesis verneint auch die Thesis; die Bejahung
der Antithesis bejaht auch die Thesis und umgekehrt. Thesis und
Antithesis sind unzertrennlich - wie der Gegenstand und sein
Schatten. Das Antinomische des Dogmas von den letzten Dingen
ist logisch unbezweifelbar. Aber nicht nur logisch: auch
psychologisch ist es augenscheinlich. Die Seele fordert
Vergebung für alle, die Seele dürstet nach universaler
Rettung, die Seele sehnt sich nach dem Frieden der ganzen Weht.
Aber bei dem Vorhandensein des bösen Willens, des entarteten
und verteufelten Willens, welcher nach dem Bösen um des
Bösen willen strebt und es als solches sucht - des Willens,
welcher Gott nur um der Verneinung willen verneint und Ihn nur
deswegen haßt, weil Er die Liebe ist - kurz, bei dem Vorhandensein
des Zynismus, "der Liebe zum Bösen" und - nach
dem Ausdruck Edgar Allan Poe's - der "dämonischen Verkehrtheit"
verflucht die Seele selbst die Göttliche Vergebung, verneint
sie und lehnt sie ab. "Niemals" - so sagt Pascal -
"tun die Menschen so viel Böses und tun es so gern
als dann, wenn sie es bewußt tun." Und: "Für
jene ist die Höhle schon eine selbstgewollte und eine, an
der sie sich nicht ersättigen können, sie sind schon
aus freiem Willen Dulder! Denn sich selber verfluchten sie ja,
als sie Gott und das Leben verfluchten. Von ihrem bösen
Hochmut nähren sie sich, und das ist ebenso, als wenn der
Verschmachtende in der Wüste sein eigenes Blut aus seinem
eigenen Körper zu saugen beginnt. Sie sind aber unersättlich
in alle Ewigkeit hinein, und sie verschmähen die Verzeihung
und verfluchen Gott, der sie ruft. Einen lebendigen Gott vermögen
sie sich ja nicht vorzustellen ohne Haß, und sie wollen
deshalb, daß es keinen lebendigen Gott gebe, daß
Gott sich selber und seine Schöpfung vernichte. Und sie
werden brennen im Feuer ihres Zornes ewiglich, und sie werden
dürsten nach Tod und Nichtsein. Sie werden aber den Tod
nicht erlangen." So spricht bei Dostojewski der Starez Sossima.
Hier ist es nicht Gott, der sich mit der Kreatur nicht versöhnt
und der boshaften, von Haß erfüllten Seele nicht verzeiht,
sondern die Seele selbst versöhnt sich nicht mit Gott. Um
sie gewaltsam zur Versöhnung zu zwingen, um die Seele gewaltsam
liebend zu machen, müßte Gott ihr die Freiheit nehmen,
d.h. selbst aufhören zu lieben und hassend werden. Aber
weil Er die Liebe ist, vernichtet Er niemandes Freiheit und daher
"verschließt Er sich denjenigen, welche sich nach
eigenem Willen von Ihm entfernt haben, wie sie es selbst
erwählten".
Die Göttliche Liebe, aus der die Unvermeidlichkeit der Vergebung
früher abgeleitet wurde, stellt sich der Vergebung selbst
in den Weg. Während wir vorher die allgemeine Rettung forderten,
so lehnen wir uns jetzt selbst gegen sie auf.
Innerhalb der Grenzen des Verstandes gibt es keine Lösung
dieser Antinomie und kann es auch keine geben. Sie liegt nur
in der faktischen Umgestaltung der Wirklichkeit selbst, bei der
die Synthesis der Thesis und Antithesis als Tatsache erlebt wird,
als direkte erfahrungsmäßige Gegebenheit, welche sich
zu ihrer Rechtfertigung auf die Drei-persönliche WAHRHEIT
stützt. Anders gesagt: die Synthesis kann endgültig
nur in dem Erleben der letzten Geschicke selbst der Kreatur gegeben
werden, in denen die völlige Verwandlung der Welt gegeben
ist; vorläufig aber wird sie in den Sakramenten erhebt,
in denen eine teilweise Verwandlung erfolgt.
Doch fragt es sich, welches die logischen Postulate dieser zukünftigen
und gegenwärtigen Synthese sind, d.h. anders ausgedrückt,
welche im Verstande miteinander unvereinbare Bedingungen erfüllt
sein müssen, damit unsere Antinomie als synthetisiert gedacht
werden könne? Oder noch anders: in welchen miteinander unvereinbaren
logischen Begriffen entfaltet sich die Eine überlogische
Idee der Eschatologie? Eine Synthese der ewig-siedenden, brodelnden
Hölle und der wehenden paradiesischen Kühle! Wieder
eine coincidentia oppositorum! - [...]
Welches sind also die undenkbaren Bedingungen der Denkbarkeit?
Aber schon vor der Antwort auf die gestellte Frage müssen
wir sehen, daß ihre Lösung nicht im Bereich des Moralismus
und jeglicher Gesetzlichkeit gesucht werden darf - dort, wo man
sie nicht selten sucht -, sondern daß unsere suchenden
Blicke sich auf die Ebene der Ontologie richten müssen.
Nicht "gesetzlich" und nicht "gerecht" werden
unsere Kategorien sein, sondern "notwendig" und "darum".
MetabasiV
eiV allo genoV
- das
ist die notwendige Vorbedingung der Antwort. Wir wollen also
versuchen, ihr jetzt eine größere formale Bestimmtheit
zu geben.
Die von Gott geschaffene Persönlichkeit - d.h. die heilige,
in ihrem inneren Mark unbedingt wertvolle Persönlichkeit
- hat einen freien schöpferischen Willen, der sich
als System von Handlungen entfaltet, d.h. als empirischer Charakter.
Die Persönlichkeit in diesem Sinne ist Charakter.
Aber die Göttliche Kreatur ist Persönlichkeit, und
sie muß gerettet werden; der böse Charakter aber ist
eben das, was die Rettung der Persönlichkeit verhindert.
Hieraus ist daher ersichtlich, daß von der Rettung die
Trennung der Persönlichkeit und des Charakters postuliert
wird, ihre Absonderung voneinander. Das Eine soll
Verschiedenes werden. Wie denn aber? Gerade so, wie das Dreifaltige
Eines ist in Gott. Das dem Wesen nach eine Ich zersplittert
sich, d.h., indem es Ich bleibt, hört es zugleich auf, Ich
zu sein. Psychologisch bedeutet das, daß der böse
Wille des Menschen, der sich in den Begierden und im Hochmut
des Charakters zeigt, sich von dem Menschen selbst lostrennt,
indem er eine selbständige, nicht-substantielle Stellung
im Sein erhält und zugleich "dem anderen"
(nach dem Modus "Du" - welcher die metaphysische Synthese
des "Ich" und des "Er" der zersplitterten
Persönlichkeit ist) als absolutes Nichts erscheint.
Anders gesagt, das wesenhaft heilige "An sich" der
Persönlichkeit (nach dem Modus "Er") trennt sich
von ihrem "für sich" (nach dem Modus "Ich"),
soweit es böse ist.
Die Momente des Seins erhalten eine selbständige Bedeutung,
indem sie sich voneinander trennen, und mein "Für-sich",
insofern es ein Böses ist, entfernt sich von meinem "An-sich"
in die "äußerste Finsternis", d.h. in die
außer Gott bestehende Finsternis -, an jenen metaphysischen
Ort, wo Gott nicht ist. Der Dreieinige ist das Licht der Liebe,
in welcher Er das Sein ist; außerhalb Seiner ist die Finsternis
des Hasses und daher die ewige Vernichtung. "Die Dreifaltigkeit
ist - die unerschütterliche Macht" und die Feste aller
Unerschütterlichkeit. Die Negation der Heiligen Dreifaltigkeit,
die Abwendung von ihr, die Entfernung von ihr nimmt der Selbstheit
- das ist mein "Für-sich" - die Festigkeit und
liefert sie dem Kreisen in sich aus. Das Gehenna - das ist,
ja eben die Negation des Dogmas der Trinität. Nicht
umsonst liegt gerade die Negation der eigentümlichen dreifaltigen
Natur des Symbols "drei" der dunklen bösen
Kunst der Zauberei zugrunde. [...]
Die böse Selbstheit, welche aller Objektivität beraubt
ist - denn der Quell der Objektivität ist das Göttliche
Licht - wird zur nackten Subjektivität, die ewig wird und
ihre Freiheit bewahrt, aber nur für sich; daher ist
diese Freiheit nichts Wirkliches. Mein "An-sich" wird
aber nach der geheimnisvollen Spaltung zur reinen Objektivität,
die ewig real ist, aber nur - "für den anderen",
sofern es sich nicht in der liebenden Selbstheit für sich
offenbart hat; und darum, weil es "für den anderen"
real ist, ist es ewig wirklich.
Das in sich böse und ergrimmte "Für-sich"
ist eine fortwährende Agonie, der unaufhörliche kraftlose
Versuch, aus dem Zustand der nackten Selbstheit (des nur "für
sich") herauszutreten, und es brennt darum unaufhörlich
in dem unauslöschlichen Feuer des Hasses. Das ist einer
der Aspekte der bösen Selbst-Wahrnehmung der Kreatur - ein
lebendes Bild, welches in seiner subjektlosen Schattenhaftigkeit
erstarrt ist. Das ist die leere Selbst-Identität des "Ich",
welches über die Grenzen des einen, ewigen Momentes der
Sünde, der Qual und der Wut auf Gott und auf die eigene
Kraftlosigkeit nicht hinausgehen kann - der eine Augenblick der
wahnsinnigen epoch der sich auf die Ewigkeit erstreckt
hat. Das ist eine ewige Anstrengung, welche die Ohnmacht
beweist, und die Ohnmacht, eine Anstrengung zu
machen. Die irdische epoch hat noch einen schöpferischen
Charakter, aber die jenseitige epoch
ist absolut passiv. Im Gegenteil, das Gute "an sich"
ist das ewig schöne Objekt der Kontemplation für das
andere, ein Teil des anderen, soweit dieses andere
auch für sich gut ist, d.h. fähig ist, das fremde
Gute zu betrachten. Denn der Liebende verwandelt in sich alles,
was er liebt, aber der Hassende geht auch dessen verlustig, was
er hat. Der Geliebte gehört dem Liebenden; der Hassende
aber gehört auch sich selber nicht. "Wer sein Leben
findet, der wird's verlieren; und wer sein Leben verliert um
meinetwillen, der wird's finden." (Matth. 10, 39; vgl. Matth.
16, 25; Mark. 8, 35; Luk. 9, 24; 17,33; Joh. 12, 25)
[...]
Die Freiheit des Ich liegt im lebendigen Schaffen seines empirischen
Inhalts. Das freie Ich ist sich seiner selbst als schöpferische
Substanz seiner Zustände bewußt, nicht nur als
deren gnoseologisches Subjekt, d.h. es ist sich einer
bewußt als tätiger Urheber, und nicht nur als abstraktes
Subjekt aller seiner Prädikate. Wie die Wahrnehmung einer
zeitlichen Reihe die Über-Zeitlichkeit des Wahrnehmenden
beweist, so beweist auch die Wahrnehmung des Empirischen als
solchen die überempirische Beschaffenheit dessen, der über
das Empirische urteilt: das Ich vermag sich über das Empirische
zu erheben, und darin liegt der Beweis seiner höheren, nichtempirischen
Natur. Aber in dem Erlebnis seines Schaffens wird diese Natur
als Faktum gegeben. Die Heiligkeit ist die vorläufige Selbst-Wahrnehmung
dieser seiner Freiheit, die Sünde aber ist die vorläufige
Knechtschaft mit Rücksicht auf sich selber. "Wo euer
Schatz ist, da ist auch euer Herz" (Matth. 6, 21; Luk. 12,
34): wo dasjenige ist, was ihr für wertvoll haltet, da wird
auch euer Selbst-Bewußtsein sein - euer "Für-sich".
Wenn das Ich seinen Schatz nicht in sein göttliches Selbst-Schaffen
gelegt hat, nicht seinem Göttlichen Ebenbild in Christo
anhängt, sondern seinem empirischen, d.h. bedingten,
beschränkten, endlichen und daher blinden Inhalt, so hat
es sich durch die Tat selbst geblendet, sich um seine Freiheit
gebracht, sich seinem eigenen Selbst unterjocht und eben dadurch
das Jüngste Gericht vorweggenommen. Das Für-sich der
Persönlichkeit ist der Unfreiheit, der blinden Selbstbehauptung
des Ich zugewandt; das "stumpfe, finstere und unüberwindliche
Streben" beherrscht die Persönlichkeit völlig,
und ihre schöpferische Energie, ihr Bildnis Gottes ist für
sie schon nicht mehr nötig, denn das "Für-sich"
ist aus der Sphäre des "Selbst", aus der Sphäre
der überempirischen Freiheit herausgefallen und in der Knechtschaft
unter das Empirische versunken. Daher - der Zustand der epoch als der Unmöglichkeit, aus der
Empirie herauszugeben. Und je mehr das Ich sich bemüht,
sein blindes Wollen, seine sinnlose, sich als unendlich behauptende
endliche Begierde zu befriedigen, um so mehr entbrennt der innere
Durst, um so wütender erhebt sich der hochmütige Zorn:
das Ich ist sich nur empirisch, blind, begrenzt gegeben, und
daher ist dieses Streben, sein unendliches Bedürfnis durch
Endliches zu befriedigen - in seinem Wesen ungereimt. Im Koran
ist ein Ausspruch erhalten welcher Jesu Christo zugeschrieben
wird; obwohl es zweifelhaft ist, daß er vom Herrn herrührt,
so will ich ihn doch anführen, weil er unseren Gedanken
gut ausdrückt. Er lautet: "Wer nach Reichtum strebt,
der gleicht einem Menschen, der das Wasser vom Meere trinkt:
je mehr er trinkt, um so stärker wird sein Durst, und er
wird niemals aufhören zu trinken, bis er zugrunde geht."
Also ist es auch in bezug auf jede Begierde, welche an
Stelle der Grundfeste der Wahrheit gesetzt wird: das Ideal,
d.h. das Bedürfnis des Unendlichen, errichtet, indem es
in das Endliche projiziert wird, ein Idol, und dieses Idol richtet
die Seele zugrunde, indem es den Menschen "selbst"
von seinem Selbst-Bewußtsein trennt und ihm dadurch die
Freiheit nimmt. Das Jüngste Gericht wird durch das Erscheinen
des Geistes die endgültige, letzte und unwiederbringliche
Trennung sein - wenn allem, was seinen Schatz nicht in Ihn gelegt
hat, das Herz entzogen wird, denn ein solches Herz wird keine
Seele haben im Sein: alles, was nicht von Gott ist, was "nicht
in Gott reich ist" (Luk. 12, 21) ist dem "anderen
Tode" (Offenb. 20; 6, 14) zur Beute bestimmt.
Bei einer solchen Trennung sind weder die Freiheit noch das Bildnis
Gottes vernichtet, sondern nur abgesondert. Aber der böse
Charakter existiert in keiner Weise für Gott und die Gerechten,
weil er das Moment des "Du" gar nicht hat: für
niemanden ist jener ein "Du", für den es kein
"Du" gibt. Ein solcher ist ein rein Imaginäres,
welches nur für sich ist, und als dessen Symbol kann die
sich selbst beißende Schlange dienen. E. Blawatskaja bezeichnete
die spiritistischen "Geister mit dem treffenden Namen "Schale",
welcher dem okkultistischen Ausdruck imagines entspricht.
Ohne mich in Erörterungen darüber einzulassen, in welcher
Beziehung die imago des Menschen und sein nacktes "Für-sich"
zueinander stehen, möchte ich nur sagen, daß das Wort
"Schale" für die Bezeichnung des "Für-sich"
sehr passend ist. Das ist eben gerade - die leere "Haut"
der Persönlichkeit, aber ohne Leib - die Larve, imago,
welche keine Substantialität hat. Aber natürlich nehme
ich den Grenzfall einer vollständigen Verteufelung.
Allgemein gesprochen ist dieser Prozeß der Trennung partikulär,
so daß nur der geschädigte und von der Sünde
betroffene Teil abgetrennt wird.
Die vorgeschlagene Lösung, die sich wesentlich auf die Unterscheidung
von "Gottes Bildnis" und "Gottes Ebenbild"
in der Persönlichkeit stützt, wurde, wie sich herausstellt,
von einem syrischen Sklaven allgemein verständlich ausgesprochen.
"Ich erinnere mich" - so erzählte der bekannte
protestantische Missionar Lord Redstock in einem seiner Moskauer
Gespräche im Jahre 1877 - "daß ich während
meines Aufenthalts in Syrien drei Älteste eines Dorfes gesehen
habe, welche abends im Schatten der Palmen sitzend sich über
die Grenzenlosigkeit der Göttlichen Gerechtigkeit und Barmherzigkeit
unterhielten. ,Wie denn?' - so sprachen sie - ,wenn Gott barmherzig
ist, so wird Er dem Sünder alle seine Sünden verzeihen;
wenn Er aber gerecht ist, so wird Er den Sünder
ohne Gnade bestrafen.' Da trat zu ihnen einer der Sklaven und
bat um die Erlaubnis, seine Ansicht mitzuteilen. ,Ich glaube'
- sagte er - ,daß Gott nach seiner Gerechtigkeit
die Sünde bestrafen und ausrotten, aber nach
seiner Barmherzigkeit den Sünder begnadigen
wird.'"
Der geheimnisvolle Prozeß des Göttlichen Gerichtes
ist Trennung, Spaltung, Aussonderung. Das zeigt sich vor allein
im Sakrament. Kein Sakrament macht die Sünde
zur Nicht-Sünde: Gott rechtfertigt nicht die Ungerechtigkeit.
Aber das Sakrament trennt den sündhaften Teil der Seele
ab und stellt ihn vor dem das Sakrament Empfangenden objektiv
als nichts (das "Bedeckte") hin, subjektiv aber
als das in sich eingeschlossene, auf sich gerichtete Böse
- als die sich selbst beißende Schlange: so wird der Teufel
auf den altertümlichen Fresken des Jüngsten Gerichts
dargestellt. Die Sünde wird zu einem vom Sünder getrennten,
selbständigen, auf sich selbst gerichteten Akt; ihre Wirkung
auf alles Äußere ist der absoluten Null gleich. In
dem Sakrament der Beichte werden die Worte des Psalmisten für
uns real: "So ferne der Morgen ist vom Abend, läßt
Er unsere Übertretungen von uns sein." (Ps. 103, 12)
Alle Kräfte der durch die Buße abgetrennten Sünde
schließen sich in sich selber ein. Daher haben die heiligen
Väter häufig darauf hingewiesen, daß die Vernichtung
der Anziehungskraft der verziehenen Sünde das Merkmal der
Wirksamkeit des Sakraments der Buße ist: durch das Sakrament
wird "das Vergangene ausgerottet" [...].
"Jeder sündige Fall legt ein gewisses Siegel auf die
Seele des Menschen, beeinflußt ihre Organisation so oder
anders" schreibt ein Kenner der Asketik. "Die Summe
der sündhaften Taten bildet somit eine gewisse Vergangenheit
des Menschen, welche sein Betragen in der Gegenwart beeinflußt,
ihn zu diesen oder jenen Taten drängt. Der geheimnisvoll
freie Umschwung besteht eben darin, daß der Lebensfaden
des Menschen gleichsam abreißt, und die in ihm entstandene
sündhafte Vergangenheit ihre bestimmende Kraft verliert,
gleichsam aus der Seele hinausgeworfen wird, dem Menschen fremd
wird. Die Sünde wird nicht vergessen und wird dem Menschen
nicht kraft irgendwelcher für den Menschen nebensächlichen
Gründe nicht angerechnet -, vielmehr wird die Sünde
im vollen Sinn des Wortes vom Menschen entfernt, in ihm vernichtet,
hört auf, ein Teil seines inneren Gehaltes zu sein und bezieht
sich auf jene Vergangenheit, welche durchlebt und von der Gnade
in dem Moment der Umwandlung ausgestrichen wurde, welche demnach
mit der Gegenwart des Menschen nichts Gemeinsames mehr hat."
[...]
[Übersetzung
Nikolai von Bubnoff]
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