pavel florenskij

der pfeiler und die

grundfeste der wahrheit

 

 

 

 

achter brief:

das gehenna

[...]
Die letzten Dinge! Wer weiß aber nicht, daß sich gegenwärtig in jede Seele ein mehr oder weniger vulgärer Origenismus eingeschlichen hat - die geheime Gewißheit einer endgültigen "Vergebung" durch Gott? So oft gestehen das Menschen der verschiedensten Stände und Stellungen ein, daß man auf den Gedanken kommt: "Darin liegt eine innere Unvermeidlichkeit". Und in der Tat ist hier etwas Unvermeidliches. Das Bewußtsein geht von der Idee Gottes als der Liebe aus. Die Liebe kann nicht schaffen, um zu vernichten - erbauen in der Voraussicht des Unterganges; die Liebe kann nicht nicht vergeben. In dem Glanze der grenzenlosen Göttlichen Liebe zerstreut sich wie der Nebel in den Strahlen der sieghaften Sonne die Idee der Vergeltung an der Kreatur und allem Kreatürlichen. Unter dem Gesichtspunkt der Ewigkeit wird alles vergeben, alles vergessen: "Gott wird sein alles in allen" (1. Kor. 15, 28). Kurz: die Unmöglichkeit der allgemeinen Errettung ist nicht möglich.
So erscheint die Sache von der Höhe der Idee Gottes aus gesehen. Doch wenn wir uns auf den damit verknüpften Standpunkt stehlen, wenn wir nicht von Gottes Liebe zur Kreatur, sondern von der Liebe der Kreatur zu Gott ausgehen, so kommt dasselbe Bewußtsein unvermeidlich zu dem diametral entgegengesetzten Schluß. Das Bewußtsein kann nicht zugeben, daß eine Rettung ohne Erwiderung der Liebe Gottes möglich sei. Da aber die Annahme unmöglich ist, daß die Liebe unfrei sei, daß Gott die Kreatur zur Liebe gezwungen habe, so folgt hieraus unvermeidlich der Schluß: es ist möglich, daß Gottes Liebe ohne Erwiderung durch die Kreatur bleibt, d.h. die Unmöglichkeit der allgemeinen Errettung ist möglich.
Die Thesis - "die Unmöglichkeit der allgemeinen Rettung ist nicht möglich" und die Antithesis - "die Unmöglichkeit der allgemeinen Rettung ist möglich" - sind offenkundig antinomisch. Aber, wird die Liebe Gottes anerkannt - so ist die Thesis unvermeidlich, und wird die Freiheit der Kreatur, die eine notwendige Folge der Liebe Gottes ist, anerkannt - so ist die Antithesis unvermeidlich. Die Idee des Dreieinigen Gottes als wesentlicher Liebe entfaltet sich in bezug auf die Idee der Kreatur in den sich gegenseitig ausschließenden Begriffen der Vergebung und der Vergeltung, der Rettung und des Verderbens, der Liebe und der Gerechtigkeit, des Erlösers und des Bestrafers - in Aspekten, die sich verstandesmäßig ebensowenig miteinander vertragen wie die Dreiheit mit der Einheit im inner-Göttlichen Leben. Der Göttlichen Einheit entspricht die Vergeltung, der Dreiheit aber - die Vergebung. So haben wir auch historisch den strengen Monarchianismus und den nachsichtigen Tritheismus.
Wenn die Freiheit des Menschen die echte Freiheit der Selbstbestimmung ist, so ist ein Vergeben des bösen Willens unmöglich, da er ein schöpferisches Produkt dieser Freiheit ist. Den bösen Willen nicht für einen bösen halten, wäre gleichbedeutend mit der Nichtanerkennung der Echtheit der Freiheit. Wenn aber die Freiheit nicht echt ist, so ist auch die Liebe Gottes zur Kreatur nicht echt; wenn es keine reale Freiheit der Kreatur gibt, dann gibt es auch keine reale Selbstbeschränkung der Gottheit bei der Schöpfung, gibt es keine "Erschöpfung" und folglich keine Liebe. Wenn es aber keine Liebe gibt, so gibt es auch keine Vergebung.
Im Gegenteil, wenn es eine Göttliche Vergebung gibt, so gibt es auch eine Göttliche Liebe und folglich eine echte Freiheit der Kreatur. Wenn es aber eine echte Freiheit gibt, so ist auch ihre Folge - die Möglichkeit des bösen Willens - unvermeidlich und folglich auch die Unmöglichkeit der Vergebung.
Die Verneinung der Antithesis verneint auch die Thesis; die Bejahung der Antithesis bejaht auch die Thesis und umgekehrt. Thesis und Antithesis sind unzertrennlich - wie der Gegenstand und sein Schatten. Das Antinomische des Dogmas von den letzten Dingen ist logisch unbezweifelbar. Aber nicht nur logisch: auch psychologisch ist es augenscheinlich. Die Seele fordert Vergebung für alle, die Seele dürstet nach universaler Rettung, die Seele sehnt sich nach dem Frieden der ganzen Weht. Aber bei dem Vorhandensein des bösen Willens, des entarteten und verteufelten Willens, welcher nach dem Bösen um des Bösen willen strebt und es als solches sucht - des Willens, welcher Gott nur um der Verneinung willen verneint und Ihn nur deswegen haßt, weil Er die Liebe ist - kurz, bei dem Vorhandensein des Zynismus, "der Liebe zum Bösen" und - nach dem Ausdruck Edgar Allan Poe's - der "dämonischen Verkehrtheit" verflucht die Seele selbst die Göttliche Vergebung, verneint sie und lehnt sie ab. "Niemals" - so sagt Pascal - "tun die Menschen so viel Böses und tun es so gern als dann, wenn sie es bewußt tun." Und: "Für jene ist die Höhle schon eine selbstgewollte und eine, an der sie sich nicht ersättigen können, sie sind schon aus freiem Willen Dulder! Denn sich selber verfluchten sie ja, als sie Gott und das Leben verfluchten. Von ihrem bösen Hochmut nähren sie sich, und das ist ebenso, als wenn der Verschmachtende in der Wüste sein eigenes Blut aus seinem eigenen Körper zu saugen beginnt. Sie sind aber unersättlich in alle Ewigkeit hinein, und sie verschmähen die Verzeihung und verfluchen Gott, der sie ruft. Einen lebendigen Gott vermögen sie sich ja nicht vorzustellen ohne Haß, und sie wollen deshalb, daß es keinen lebendigen Gott gebe, daß Gott sich selber und seine Schöpfung vernichte. Und sie werden brennen im Feuer ihres Zornes ewiglich, und sie werden dürsten nach Tod und Nichtsein. Sie werden aber den Tod nicht erlangen." So spricht bei Dostojewski der Starez Sossima. Hier ist es nicht Gott, der sich mit der Kreatur nicht versöhnt und der boshaften, von Haß erfüllten Seele nicht verzeiht, sondern die Seele selbst versöhnt sich nicht mit Gott. Um sie gewaltsam zur Versöhnung zu zwingen, um die Seele gewaltsam liebend zu machen, müßte Gott ihr die Freiheit nehmen, d.h. selbst aufhören zu lieben und hassend werden. Aber weil Er die Liebe ist, vernichtet Er niemandes Freiheit und daher "verschließt Er sich denjenigen, welche sich nach eigenem Willen von Ihm entfernt haben, wie sie es selbst erwählten".
Die Göttliche Liebe, aus der die Unvermeidlichkeit der Vergebung früher abgeleitet wurde, stellt sich der Vergebung selbst in den Weg. Während wir vorher die allgemeine Rettung forderten, so lehnen wir uns jetzt selbst gegen sie auf.
Innerhalb der Grenzen des Verstandes gibt es keine Lösung dieser Antinomie und kann es auch keine geben. Sie liegt nur in der faktischen Umgestaltung der Wirklichkeit selbst, bei der die Synthesis der Thesis und Antithesis als Tatsache erlebt wird, als direkte erfahrungsmäßige Gegebenheit, welche sich zu ihrer Rechtfertigung auf die Drei-persönliche WAHRHEIT stützt. Anders gesagt: die Synthesis kann endgültig nur in dem Erleben der letzten Geschicke selbst der Kreatur gegeben werden, in denen die völlige Verwandlung der Welt gegeben ist; vorläufig aber wird sie in den Sakramenten erhebt, in denen eine teilweise Verwandlung erfolgt.
Doch fragt es sich, welches die logischen Postulate dieser zukünftigen und gegenwärtigen Synthese sind, d.h. anders ausgedrückt, welche im Verstande miteinander unvereinbare Bedingungen erfüllt sein müssen, damit unsere Antinomie als synthetisiert gedacht werden könne? Oder noch anders: in welchen miteinander unvereinbaren logischen Begriffen entfaltet sich die Eine überlogische Idee der Eschatologie? Eine Synthese der ewig-siedenden, brodelnden Hölle und der wehenden paradiesischen Kühle! Wieder eine coincidentia oppositorum! - [...]
Welches sind also die undenkbaren Bedingungen der Denkbarkeit? Aber schon vor der Antwort auf die gestellte Frage müssen wir sehen, daß ihre Lösung nicht im Bereich des Moralismus und jeglicher Gesetzlichkeit gesucht werden darf - dort, wo man sie nicht selten sucht -, sondern daß unsere suchenden Blicke sich auf die Ebene der Ontologie richten müssen. Nicht "gesetzlich" und nicht "gerecht" werden unsere Kategorien sein, sondern "notwendig" und "darum".
MetabasiV eiV allo genoV - das ist die notwendige Vorbedingung der Antwort. Wir wollen also versuchen, ihr jetzt eine größere formale Bestimmtheit zu geben.
Die von Gott geschaffene Persönlichkeit - d.h. die heilige, in ihrem inneren Mark unbedingt wertvolle Persönlichkeit - hat einen freien schöpferischen Willen, der sich als System von Handlungen entfaltet, d.h. als empirischer Charakter. Die Persönlichkeit in diesem Sinne ist Charakter.
Aber die Göttliche Kreatur ist Persönlichkeit, und sie muß gerettet werden; der böse Charakter aber ist eben das, was die Rettung der Persönlichkeit verhindert. Hieraus ist daher ersichtlich, daß von der Rettung die Trennung der Persönlichkeit und des Charakters postuliert wird, ihre Absonderung voneinander. Das Eine soll Verschiedenes werden. Wie denn aber? Gerade so, wie das Dreifaltige Eines ist in Gott. Das dem Wesen nach eine Ich zersplittert sich, d.h., indem es Ich bleibt, hört es zugleich auf, Ich zu sein. Psychologisch bedeutet das, daß der böse Wille des Menschen, der sich in den Begierden und im Hochmut des Charakters zeigt, sich von dem Menschen selbst lostrennt, indem er eine selbständige, nicht-substantielle Stellung im Sein erhält und zugleich "dem anderen" (nach dem Modus "Du" - welcher die metaphysische Synthese des "Ich" und des "Er" der zersplitterten Persönlichkeit ist) als absolutes Nichts erscheint. Anders gesagt, das wesenhaft heilige "An sich" der Persönlichkeit (nach dem Modus "Er") trennt sich von ihrem "für sich" (nach dem Modus "Ich"), soweit es böse ist.
Die Momente des Seins erhalten eine selbständige Bedeutung, indem sie sich voneinander trennen, und mein "Für-sich", insofern es ein Böses ist, entfernt sich von meinem "An-sich" in die "äußerste Finsternis", d.h. in die außer Gott bestehende Finsternis -, an jenen metaphysischen Ort, wo Gott nicht ist. Der Dreieinige ist das Licht der Liebe, in welcher Er das Sein ist; außerhalb Seiner ist die Finsternis des Hasses und daher die ewige Vernichtung. "Die Dreifaltigkeit ist - die unerschütterliche Macht" und die Feste aller Unerschütterlichkeit. Die Negation der Heiligen Dreifaltigkeit, die Abwendung von ihr, die Entfernung von ihr nimmt der Selbstheit - das ist mein "Für-sich" - die Festigkeit und liefert sie dem Kreisen in sich aus. Das Gehenna - das ist, ja eben die Negation des Dogmas der Trinität. Nicht umsonst liegt gerade die Negation der eigentümlichen dreifaltigen Natur des Symbols "drei" der dunklen bösen Kunst der Zauberei zugrunde. [...]
Die böse Selbstheit, welche aller Objektivität beraubt ist - denn der Quell der Objektivität ist das Göttliche Licht - wird zur nackten Subjektivität, die ewig wird und ihre Freiheit bewahrt, aber nur für sich; daher ist diese Freiheit nichts Wirkliches. Mein "An-sich" wird aber nach der geheimnisvollen Spaltung zur reinen Objektivität, die ewig real ist, aber nur - "für den anderen", sofern es sich nicht in der liebenden Selbstheit für sich offenbart hat; und darum, weil es "für den anderen" real ist, ist es ewig wirklich.
Das in sich böse und ergrimmte "Für-sich" ist eine fortwährende Agonie, der unaufhörliche kraftlose Versuch, aus dem Zustand der nackten Selbstheit (des nur "für sich") herauszutreten, und es brennt darum unaufhörlich in dem unauslöschlichen Feuer des Hasses. Das ist einer der Aspekte der bösen Selbst-Wahrnehmung der Kreatur - ein lebendes Bild, welches in seiner subjektlosen Schattenhaftigkeit erstarrt ist. Das ist die leere Selbst-Identität des "Ich", welches über die Grenzen des einen, ewigen Momentes der Sünde, der Qual und der Wut auf Gott und auf die eigene Kraftlosigkeit nicht hinausgehen kann - der eine Augenblick der wahnsinnigen epoch der sich auf die Ewigkeit erstreckt hat. Das ist eine ewige Anstrengung, welche die Ohnmacht beweist, und die Ohnmacht, eine Anstrengung zu machen. Die irdische
epoch hat noch einen schöpferischen Charakter, aber die jenseitige epoch ist absolut passiv. Im Gegenteil, das Gute "an sich" ist das ewig schöne Objekt der Kontemplation für das andere, ein Teil des anderen, soweit dieses andere auch für sich gut ist, d.h. fähig ist, das fremde Gute zu betrachten. Denn der Liebende verwandelt in sich alles, was er liebt, aber der Hassende geht auch dessen verlustig, was er hat. Der Geliebte gehört dem Liebenden; der Hassende aber gehört auch sich selber nicht. "Wer sein Leben findet, der wird's verlieren; und wer sein Leben verliert um meinetwillen, der wird's finden." (Matth. 10, 39; vgl. Matth. 16, 25; Mark. 8, 35; Luk. 9, 24; 17,33; Joh. 12, 25)
[...]
Die Freiheit des Ich liegt im lebendigen Schaffen seines empirischen Inhalts. Das freie Ich ist sich seiner selbst als schöpferische Substanz seiner Zustände bewußt, nicht nur als deren gnoseologisches Subjekt, d.h. es ist sich einer bewußt als tätiger Urheber, und nicht nur als abstraktes Subjekt aller seiner Prädikate. Wie die Wahrnehmung einer zeitlichen Reihe die Über-Zeitlichkeit des Wahrnehmenden beweist, so beweist auch die Wahrnehmung des Empirischen als solchen die überempirische Beschaffenheit dessen, der über das Empirische urteilt: das Ich vermag sich über das Empirische zu erheben, und darin liegt der Beweis seiner höheren, nichtempirischen Natur. Aber in dem Erlebnis seines Schaffens wird diese Natur als Faktum gegeben. Die Heiligkeit ist die vorläufige Selbst-Wahrnehmung dieser seiner Freiheit, die Sünde aber ist die vorläufige Knechtschaft mit Rücksicht auf sich selber. "Wo euer Schatz ist, da ist auch euer Herz" (Matth. 6, 21; Luk. 12, 34): wo dasjenige ist, was ihr für wertvoll haltet, da wird auch euer Selbst-Bewußtsein sein - euer "Für-sich". Wenn das Ich seinen Schatz nicht in sein göttliches Selbst-Schaffen gelegt hat, nicht seinem Göttlichen Ebenbild in Christo anhängt, sondern seinem empirischen, d.h. bedingten, beschränkten, endlichen und daher blinden Inhalt, so hat es sich durch die Tat selbst geblendet, sich um seine Freiheit gebracht, sich seinem eigenen Selbst unterjocht und eben dadurch das Jüngste Gericht vorweggenommen. Das Für-sich der Persönlichkeit ist der Unfreiheit, der blinden Selbstbehauptung des Ich zugewandt; das "stumpfe, finstere und unüberwindliche Streben" beherrscht die Persönlichkeit völlig, und ihre schöpferische Energie, ihr Bildnis Gottes ist für sie schon nicht mehr nötig, denn das "Für-sich" ist aus der Sphäre des "Selbst", aus der Sphäre der überempirischen Freiheit herausgefallen und in der Knechtschaft unter das Empirische versunken. Daher - der Zustand der
epoch als der Unmöglichkeit, aus der Empirie herauszugeben. Und je mehr das Ich sich bemüht, sein blindes Wollen, seine sinnlose, sich als unendlich behauptende endliche Begierde zu befriedigen, um so mehr entbrennt der innere Durst, um so wütender erhebt sich der hochmütige Zorn: das Ich ist sich nur empirisch, blind, begrenzt gegeben, und daher ist dieses Streben, sein unendliches Bedürfnis durch Endliches zu befriedigen - in seinem Wesen ungereimt. Im Koran ist ein Ausspruch erhalten welcher Jesu Christo zugeschrieben wird; obwohl es zweifelhaft ist, daß er vom Herrn herrührt, so will ich ihn doch anführen, weil er unseren Gedanken gut ausdrückt. Er lautet: "Wer nach Reichtum strebt, der gleicht einem Menschen, der das Wasser vom Meere trinkt: je mehr er trinkt, um so stärker wird sein Durst, und er wird niemals aufhören zu trinken, bis er zugrunde geht." Also ist es auch in bezug auf jede Begierde, welche an Stelle der Grundfeste der Wahrheit gesetzt wird: das Ideal, d.h. das Bedürfnis des Unendlichen, errichtet, indem es in das Endliche projiziert wird, ein Idol, und dieses Idol richtet die Seele zugrunde, indem es den Menschen "selbst" von seinem Selbst-Bewußtsein trennt und ihm dadurch die Freiheit nimmt. Das Jüngste Gericht wird durch das Erscheinen des Geistes die endgültige, letzte und unwiederbringliche Trennung sein - wenn allem, was seinen Schatz nicht in Ihn gelegt hat, das Herz entzogen wird, denn ein solches Herz wird keine Seele haben im Sein: alles, was nicht von Gott ist, was "nicht in Gott reich ist" (Luk. 12, 21) ist dem "anderen Tode" (Offenb. 20; 6, 14) zur Beute bestimmt.
Bei einer solchen Trennung sind weder die Freiheit noch das Bildnis Gottes vernichtet, sondern nur abgesondert. Aber der böse Charakter existiert in keiner Weise für Gott und die Gerechten, weil er das Moment des "Du" gar nicht hat: für niemanden ist jener ein "Du", für den es kein "Du" gibt. Ein solcher ist ein rein Imaginäres, welches nur für sich ist, und als dessen Symbol kann die sich selbst beißende Schlange dienen. E. Blawatskaja bezeichnete die spiritistischen "Geister mit dem treffenden Namen "Schale", welcher dem okkultistischen Ausdruck imagines entspricht. Ohne mich in Erörterungen darüber einzulassen, in welcher Beziehung die imago des Menschen und sein nacktes "Für-sich" zueinander stehen, möchte ich nur sagen, daß das Wort "Schale" für die Bezeichnung des "Für-sich" sehr passend ist. Das ist eben gerade - die leere "Haut" der Persönlichkeit, aber ohne Leib - die Larve, imago, welche keine Substantialität hat. Aber natürlich nehme ich den Grenzfall einer vollständigen Verteufelung. Allgemein gesprochen ist dieser Prozeß der Trennung partikulär, so daß nur der geschädigte und von der Sünde betroffene Teil abgetrennt wird.
Die vorgeschlagene Lösung, die sich wesentlich auf die Unterscheidung von "Gottes Bildnis" und "Gottes Ebenbild" in der Persönlichkeit stützt, wurde, wie sich herausstellt, von einem syrischen Sklaven allgemein verständlich ausgesprochen. "Ich erinnere mich" - so erzählte der bekannte protestantische Missionar Lord Redstock in einem seiner Moskauer Gespräche im Jahre 1877 - "daß ich während meines Aufenthalts in Syrien drei Älteste eines Dorfes gesehen habe, welche abends im Schatten der Palmen sitzend sich über die Grenzenlosigkeit der Göttlichen Gerechtigkeit und Barmherzigkeit unterhielten. ,Wie denn?' - so sprachen sie - ,wenn Gott barmherzig ist, so wird Er dem Sünder alle seine Sünden verzeihen; wenn Er aber gerecht ist, so wird Er den Sünder ohne Gnade bestrafen.' Da trat zu ihnen einer der Sklaven und bat um die Erlaubnis, seine Ansicht mitzuteilen. ,Ich glaube' - sagte er - ,daß Gott nach seiner Gerechtigkeit die Sünde bestrafen und ausrotten, aber nach seiner Barmherzigkeit den Sünder begnadigen wird.'"
Der geheimnisvolle Prozeß des Göttlichen Gerichtes ist Trennung, Spaltung, Aussonderung. Das zeigt sich vor allein im Sakrament. Kein Sakrament macht die Sünde zur Nicht-Sünde: Gott rechtfertigt nicht die Ungerechtigkeit. Aber das Sakrament trennt den sündhaften Teil der Seele ab und stellt ihn vor dem das Sakrament Empfangenden objektiv als nichts (das "Bedeckte") hin, subjektiv aber als das in sich eingeschlossene, auf sich gerichtete Böse - als die sich selbst beißende Schlange: so wird der Teufel auf den altertümlichen Fresken des Jüngsten Gerichts dargestellt. Die Sünde wird zu einem vom Sünder getrennten, selbständigen, auf sich selbst gerichteten Akt; ihre Wirkung auf alles Äußere ist der absoluten Null gleich. In dem Sakrament der Beichte werden die Worte des Psalmisten für uns real: "So ferne der Morgen ist vom Abend, läßt Er unsere Übertretungen von uns sein." (Ps. 103, 12) Alle Kräfte der durch die Buße abgetrennten Sünde schließen sich in sich selber ein. Daher haben die heiligen Väter häufig darauf hingewiesen, daß die Vernichtung der Anziehungskraft der verziehenen Sünde das Merkmal der Wirksamkeit des Sakraments der Buße ist: durch das Sakrament wird "das Vergangene ausgerottet" [...].
"Jeder sündige Fall legt ein gewisses Siegel auf die Seele des Menschen, beeinflußt ihre Organisation so oder anders" schreibt ein Kenner der Asketik. "Die Summe der sündhaften Taten bildet somit eine gewisse Vergangenheit des Menschen, welche sein Betragen in der Gegenwart beeinflußt, ihn zu diesen oder jenen Taten drängt. Der geheimnisvoll freie Umschwung besteht eben darin, daß der Lebensfaden des Menschen gleichsam abreißt, und die in ihm entstandene sündhafte Vergangenheit ihre bestimmende Kraft verliert, gleichsam aus der Seele hinausgeworfen wird, dem Menschen fremd wird. Die Sünde wird nicht vergessen und wird dem Menschen nicht kraft irgendwelcher für den Menschen nebensächlichen Gründe nicht angerechnet -, vielmehr wird die Sünde im vollen Sinn des Wortes vom Menschen entfernt, in ihm vernichtet, hört auf, ein Teil seines inneren Gehaltes zu sein und bezieht sich auf jene Vergangenheit, welche durchlebt und von der Gnade in dem Moment der Umwandlung ausgestrichen wurde, welche demnach mit der Gegenwart des Menschen nichts Gemeinsames mehr hat."
[...]

[Übersetzung Nikolai von Bubnoff]

 

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