pavel florenskij

der pfeiler und die

grundfeste der wahrheit

 

 

 

 

vierter brief:

das licht der wahrheit

[...]
Im Glauben selbst habe ich unerwartet für mich selber die erste Andeutung des von mir Gesuchten gefunden. Es kommt bisweilen im Februar vor, daß die Sonne hell strahlt und ein mildes Lüftchen weht. Obwohl das Frühjahr noch fern ist, so riecht es doch schon nach Frühling. So ist es auch im Gebet. Als ich mir um der Wahrheit willen Gewalt antat, trat ich in eine persönliche, lebendige Gemeinschaft zur Wahrheit. Ich sagte mich von mir selber los und verletzte dadurch das tiefere Gesetz der Identität, weil das nackte "Ich" aufhörte zu sein! Es erfolgte eine gewisse Befestigung des Ich, aber - in einem neuen Sinn. Jenes Ich, welches einen Beweis verlangte, fing an, diesen Beweis unklar wahrzunehmen, fing an zu fühlen, daß der Beweis kommen werde. Wie nach einer Krankheit erfolgte eine gewisse Wiederherstellung. Schon war die aufmunternde Frische der Ewigkeit selbst zu spüren und ihr fernes Rauschen zu vernehmen. Wie in einem vormorgendlichen Nebel schritt ich dahin und betrachtete die unklaren Umrisse der Wahrheit selbst. Ich möchte meinen Zustand damit vergleichen, als hätte sich mein ganzer Körper in weiches Wachs verwandelt und in alle Adern Milch ergossen: gerade so pflegt es zu sein nach einem langen Gebet mit Verneigungen. Mein Vergleich wird vielleicht komisch scheinen, aber ich finde keinen besseren. Irgendwie verband sich damit die Liebe zu den Menschen, und in der Liebe fand ich das erste Stadium der längst ersehnten Intuition.
Wenn Gott ist - und das wurde für mich unzweifelhaft -, so ist Er notwendig die absolute Liebe. Aber die Liebe ist kein Merkmal Gottes. Gott wäre nicht die absolute Liebe, wenn Er nur die Liebe zu einem Anderen, Bedingten, Vergänglichen, zur Welt wäre; denn dann wäre Gottes Liebe abhängig von einem bedingten Sein und folglich selbst zufällig. Gott ist ein absolutes Wesen, weil Er der substantielle Akt der Liebe, Akt-Substanz ist. Gott oder die Wahrheit hat nicht nur die Liebe, sondern, vor allem, "Gott ist die Liebe" (1. Joh. 4; 8, 16), d.h. die Liebe - ist Gottes Wesen, seine ureigene Natur, und nicht nur eine seiner Vorsehung zukommende Beziehung. Anders gesagt, Gott ist die Liebe, und nicht nur der, wenn auch "vollkommen", "Liebende".
Dieser Satz ist der Gipfel des theoretischen ("negativen") Wissens und der Übergang zum praktischen ("positiven"). Bisher war jedes Urteil von seinem unvermeidlichen Schatten begleitet - von der Bedingung: "Wenn Gott überhaupt ist." Jetzt, im Lichte des intuitiv-diskursiven Wissens, zergeht dieser Schatten und verflüchtigt sich. Aber mit ihm zugleich entschwindet auch die Möglichkeit zu überzeugen, weil die Zeit für das Asketentum gekommen ist. Hier ist es nur möglich, einige Kennzeichen dieses neuen Weges allgemein anzudeuten, aber nur durch die persönliche Erfahrung kann sich ein jeder von der Richtigkeit alles weiteren überzeugen. Was für den durch das Erleben Hindurchgeschrittenen bereits absolutes Wissen ist, das stellt sich dem Theoretiker lediglich als eine Fortsetzung des Probabilismus dar. Aber für den Philosophen ist das experimentum crucis gemacht. Seine hypothetische Konstruktion hat sich entweder als Wahrheit erwiesen, und alsdann als gewisse Wahrheit, oder aber als leere Mutmaßung. Aber wenn diese Konstruktion Lüge ist, dann gibt es überhaupt keine Wahrheit; in diesem Falle kann auch der Satz von der Lüge selbst nicht wahr sein usw. Der Philosoph verfällt in die epoché, und ist gezwungen, alles von vorne zu beginnen, sich zu quälen, wieder zu versuchen und zu glauben, ewig zu glauben - zu glauben bis zur Qual und bis zum Tode. Bei dem einfachen Nihilismus kann sich jener nicht beruhigen, der die Wahrheit will. "Glaube an die Wahrheit, hoffe auf die Wahrheit, liebe die Wahrheit" - das ist die Stimme der Wahrheit selbst, welche unwandelbar in der Seele des Philosophen erschallt. Und wenn ihn bei dem ersten Versuch des Glaubens ein Mißerfolg treffen sollte, so würde er mit verdoppelter Entschlossenheit von neuem daran gehen. - Ich schreibe dies übrigens mehr zur formalen Antwort auf die Frage als um des Wesens der Sache willen, denn die Erfahrung beweist, daß der Glaube immer gelingt. Wie das Einzige Buch von Abraham berichtet: "Abraham hat Gott geglaubet, und das ist ihm zur Gerechtigkeit gerechnet" (1. Mos. 15, 6 = Röm. 4, 3) - er gehorchte dem geheimnisvollen Ruf der Unbekannten Wahrheit, "durch den Glauben ward er gehorsam, da er berufen ward, auszugehen in das Land, das er ererben sollte; und ging aus und wußte nicht, wo er hin käme. Durch den Glauben ist er ein Fremdling gewesen in dem verheißenen Lande als in einem fremden" (Hebr. 11; 8, 9).
Wie Abraham, so auch die anderen Gerechten (siehe Hebr. 11). "Wo sie das Vaterland gemeint hätten, von welchem sie waren ausgezogen, hatten sie ja Zeit, wieder umzukehren. Nun aber begehren sie eines besseren, nämlich eines himmlischen. Darum schämt sich Gott ihrer nicht, zu heißen ihr Gott" (Hebr. 11; 15, 16). Das ist die Erfahrung der Geschichte. Die Gerechten strebten frei nach dem "Unsichtbaren", d.h. dem ihnen nicht gegebenen Himmel, und der Himmel hat sie aufgenommen. Und der Philosoph wird, indem er nach Wahrheit strebt, weder zum Götzendienst der blinden Intuition, noch zu dem Eigenwillen der hochmütigen Diskursion zurückkehren; nein, er wird von seinem Streben nach dem BEKANNTEN GOTT nicht ablassen.
Aber wir wollen uns darüber klar werden, wie und kraft wessen der Himmel den Philosophen aufnimmt.
Wie immer wir über die menschliche Vernunft denken mögen, so haben wir doch ohne weiteres die Möglichkeit zu behaupten, daß sie ein Organ des Menschen, seine lebendige Tätigkeit, seine reale Kraft, lógos, ist. Im gegenteiligen Falle, im Falle, daß sie uns als "an sich" seiend und daher als ein Irreales - diánoia - gilt, sind wir unvermeidlich zu einer ebenso unbestreitbaren und von vornherein feststehenden Verneinung der Realität des Wissens genötigt. Wenn nämlich die Vernunft des Seins nicht teilhaftig ist, so hat auch das Sein an der Vernunft nicht teil, d.h. es ist alogisch. Dann ist der Illusionismus unvermeidlich und jeglicher Nihilismus, der in einen schwächlichen und kläglichen Skeptizismus mündet. Der einzige Ausweg aus diesem Sumpf der Relativität und Bedingtheit ist die Anerkennung einer des Seins teilhaftigen Vernunft und eines der Vernünftigkeit teilhaften Seins. Wenn dem aber so ist, dann ist der Akt des Erkennens nicht nur ein gnoseologischer, sondern auch ein ontologischer, nicht nur ein idealer, sondern auch ein realer Akt. Die Erkenntnis ist ein reales Aus-Sich-Herausgehen des Erkennenden oder - was dasselbe ist - ein reales Hineingehen dessen, was erkannt wird, in den Erkennenden - eine reale Vereinigung des Erkennenden und des Erkannten. Das ist die fundamentale und charakteristische These der gesamten russischen und überhaupt der östlichen Philosophie. Wir sind zu ihr auf einem etwas anderen und sichereren Wege gekommen, indem wir geradezu auf das Herz und die Seele dieses "Herausgehen aus sich selber" als auf einen Glaubensakt im religiösen, orthodoxen Sinn hinwiesen, denn das wahre "Hinausgehen" ist eben der Glaube, alles andere kann traumhaft und trügerisch sein. Die Erkenntnis ist also kein Ergreifen des toten Objekts durch das raubgierige gnoseologische Subjekt, sondern eine lebendige sittliche Gemeinschaft der Persönlichkeiten, von denen jede jeder als Subjekt und als Objekt dient. Im eigentlichen Sinne ist nur die Persönlichkeit und durch die Persönlichkeit erkennbar.
Anders gesagt sind die wesentliche Erkenntnis, als Akt des erkennenden Subjekts, und die wesentliche Wahrheit, als erkanntes reales Objekt - real ein und dasselbe, obwohl sie sich im abstrakten Verstande unterscheiden.
Die wesenhafte Erkenntnis der Wahrheit, d.h. das der Wahrheit selbst Teilhaftigwerden, ist folglich ein reales Eingehen in den Schoß der göttlichen Trinität, nicht nur ein ideales Berühren ihrer äußeren Form. Daher ist die wahre Erkenntnis - die Erkenntnis der Wahrheit - nur durch eine Wesenswandlung des Menschen möglich, durch seine Vergöttlichung, durch das Erwerben der Liebe, als göttlicher Wesenheit: wer nicht mit Gott ist, der kennt Gott nicht. In der Liebe, und nur in der Liebe, ist die wirkliche Erkenntnis der Wahrheit denkbar. Und umgekehrt äußert sich die Erkenntnis der Wahrheit in der Liebe: wer mit der Liebe ist, der kann nicht lieben. Man kann hier nicht sagen, was Ursache und was Wirkung sei, weil das eine und das andere nur Seiten eines und desselben geheimnisvollen Vorgangs sind - des Eingehens Gottes in mich, als in das philosophierende Subjekt und meiner in Gott als in die objektive Wahrheit.
Innerhalb meiner selbst betrachtet (nach dem Modus "Ich") "in sich" oder genauer "an sich", ist dieses Eingehen Erkenntnis; für "den anderen" (nach dem Modus "Du") ist es - Liebe; und schließlich "für mich", als objektiviert und gegenständlich (d.h. nach dem Modus "Er" betrachtet), ist es Schönheit. Anders gesagt, meine Erkenntnis Gottes, welche in mir von einem anderen wahrgenommen wird, ist die Liebe zu dem Wahrnehmenden; die durch einen dritten gegenständlich angeschaute Liebe zum anderen ist aber die Schönheit.
Was für das Subjekt des Erkennens die Wahrheit ist, das ist für sein Objekt die Liebe zu ihm, und für den das Erkennen (das Erkennen des Objekts durch das Subjekt) Anschauenden - die Schönheit.
"Das Wahre, das Gute und das Schöne" - diese metaphysische Trias - sind nicht drei verschiedene Prinzipien, sondern eines. Es ist ein und dasselbe geistige Leben, jedoch von verschiedenen Gesichtspunkten aus betrachtet. Das geistige Leben, das von dem Ich ausgeht und im Ich seinen Mittelpunkt hat, ist die Wahrheit. Als unmittelbare Wirkung eines anderen wahrgenommen, ist es das Gute. Von einem dritten gegenständlich angeschaut, als nach außen strahlend, ist es das Schöne.
Die offenbarte Wahrheit ist Liebe. Die verwirklichte Liebe ist Schönheit. Die Liebe selbst ist Gottes Wirkung in mir und meiner in Gott; dieses Zusammen-Wirken ist der Beginn meines Teilhaftig-Werdens des Göttlichen Lebens und Seins, d.h. der wesenhaften Liebe, denn die unbedingte Wahrheit Gottes entfaltet sich gerade in der Liebe.
Gott, der mich als seine Kreatur kennt, der mich durch den Sohn als sein "Bild"", als seinen Sohn liebt, der sich an mir im Heiligen Geiste als an seinem "Ebenbilde" freut, kennt mich, liebt mich und erfreut sich an mir aktiv, denn ich bin ihm gegeben. Als Quell des Wissens, der Liebe und der Freude erscheint hier Gott selber. Aber mein Wissen Gottes, meine Liebe zu Gott, meine Freude an Gott sind passiv, weil mir Gott nur teilweise gegeben ist und nur nach Maßgabe meiner Gott-Verähnlichung gegeben werden kann. Das Ähnlich-Werden der Liebe Gottes ist aber die tätige Liebe zu dem mir schon Gegebenen. Weshalb denn aber Liebe und nicht Wissen oder Freude? Darum, weil die Liebe ein substantieller Akt ist, welcher vom Subjekt auf das Objekt übergeht und seine Stütze - im Objekt hat, während das Wissen und die Freude auf das Subjekt gerichtet sind und in ihm den Angriffspunkt ihrer Kraft haben. Die Liebe Gottes geht auf uns über, aber das Wissen und die anschauende Freude verbleiben in ihm selber. Eben deshalb wurde nicht die Person des Vaters und nicht diejenige des Heiligen Geistes (Paraklet = Tröster, Spender der Freude) Fleisch, sondern der Sohn = das Wort, die der göttlichen Person eigene göttliche Liebe, das Herz des Vaters - wenn es erlaubt ist, diesen treffenden Ausdruck Jakob Böhmes zu verwenden: Gottes Sohn ist nach Jakob Böhme - "das Herz in dem Vater".
Zur Vermeidung von Mißverhältnissen ist es notwendig, den Ontologismus einer solchen Auffassung der Liebe zu unterstreichen, welcher seine historischen Wurzeln in der alten realistischen Lebensauffassung hat. In der modernen illusionistischen Lebensauffassung dagegen herrscht eine psychologische Betrachtung der Liebe, die, obwohl sie von jenem nicht ausgeschlossen wird, so doch eben im Vergleich zu ihm viel zu armselig ist. [...]
Worin liegt der Gegensatz der Sache und der Person, welcher dem Gegensatz der Begierde und der Liebe zugrunde liegt? Darin, daß die Sache durch ihre äußere Einheit charakterisiert ist, d.h. durch die Einheit der Summe der Merkmale, während die Person ihren wesentlichen Charakter in der inneren Einheit hat, d.h. in der Einheit der Tätigkeit des Eigen-Aufbaus - in jener Eigensetzung des Ich, von welcher Fichte spricht. Folglich wird die Identität der Dinge vermöge der Identität der Begriffe festgestellt, aber die Identität der Persönlichkeit - vermöge der Einheit ihrer selbst-aufbauenden oder selbst-setzenden Tätigkeit. Ferner aber kann man von zwei Dingen niemals im strengen Sinne des Wortes sagen, daß sie "identisch" sind; sie sind bloß "ähnlich", wenn auch "in allem", bloß einander gleich, wenn auch in allen Merkmalen. Daher kann die Identität der Dinge gattungsmäßig, generisch, oder artmäßig, spezifisch sein, kurz gesagt merkmalsmäßig nach dieser oder jener Anzahl von Merkmalen, die Übereinstimmung nach der transfiniten Mehrheit von Merkmalen oder selbst - ein Grenzfall - nach allen Merkmalen mit einbegriffen, aber doch nicht numerisch, nicht zahlenmäßig.
Der Begriff der numerischen Identität ist auf Dinge nicht anwendbar; ein Ding kann nur ein "eben solches" oder "nicht eben solches", aber niemals "dasselbe" oder "nicht dasselbe" sein. Dagegen kann man von zwei Personen eigentlich nicht sagen, daß sie "gleich", sondern nur daß sie "identisch" oder "nicht identisch" sind. Für Persönlichkeiten, als Persönlichkeiten, ist entweder deren numerische Identität möglich oder gar keine. Allerdings spricht man bisweilen von einer "Ähnlichkeit der Persönlichkeiten", aber das ist ein ungenauer Sprachgebrauch, weil dabei in Wahrheit nicht die Ähnlichkeit der Personen, sondern die Ähnlichkeit dieser oder jener Eigenschaften ihrer psycho-physischen Mechanismen verstanden wird, d.h. die Rede von dem ist, was, obwohl in der Persönlichkeit, doch nicht die Persönlichkeit selbst ist. Die Persönlichkeit, im Sinne der reinen Persönlichkeit verstanden, ist für jedes Ich nur ein Ideal - das Ziel seines Strebens und Eigen-Aufbaus. Aber für die Liebe der reinen Persönlichkeiten, d.h. solcher Persönlichkeiten, die sich des Mechanismus ihrer Organisationen vollständig bemächtigt, ihren Leib und ihre Seele vergeistigt haben, für die Liebe solcher Persönlichkeiten ist nur eine rein numerische Identität möglich,
dmoousia während für die reinen Dinge nur eine generische Gleichheit, dmoousia möglich ist. Die noch nicht reinen Persönlichkeiten aber, die Persönlichkeiten, inwiefern sie dingbaft, leiblich, fleischlich sind, sind auch insofern der "Ausgleichung" der Begierde fähig; inwiefern sie aber rein sind und sich von der "Dinghaftigkeit" losgelöst haben, insofern sind sie der "Identifizierung" der Liebe fähig.
Aber was ist denn diese Dinghaftigkeit der Persönlichkeit? Das ist ihre stumpfe Selbst-Gleichheit, welche ihr die Einheit des Begriffes gibt, der in der Gesamtheit seiner Merkmale eingeschlossen ist, d.h. des toten und unbeweglichen Begriffes. Anders gesagt, ist es nichts anderes, als die rationalistische "Begreiflichkeit" der Persönlichkeit, d.h. ihre Unterordnung unter das Verstandesgesetz der Identität. Dagegen ist der persönliche Charakter der Persönlichkeit - die lebendige Einheit ihrer selbst-schöpferischen Tätigkeit, das schöpferische Heraustreten aus ihrer Eingeschlossenheit in sich selbst, oder auch, er ist ihre Nicht-Einfügbarkeit in einen Begriff, daher ihre "Unbegreiflichkeit" und folglich Unannehmbarkeit für den Rationalismus. Der Sieg über das Identitätsgesetz - das ist es, was die Persönlichkeit über das leblose Ding erhebt, und was sie zum lebendigen Mittelpunkt der Tätigkeit macht. Es ist ,aber begreiflich, daß die Tätigkeit, ihrem eigentlichen Wesen nach, für den Rationalismus unfaßbar ist, denn alle Tätigkeit ist schöpferische Kraft, d.h. Hinzufügen zu der Gegebenheit dessen, was noch nicht Gegebenheit ist, und folglich Überwindung des Identitätsgesetzes.
Der Rationalismus, d.h. die Philosophie des Begriffes und des Verstandes, die Philosophie des Dinges und der leblosen Unbewegtheit ist somit noch einmal gänzlich mit dem Identitätsgesetz verbunden und kann zusammenfassend als homoiusianische Philosophie charakterisiert werden. Er ist - eine fleischliche Philosophie.
Dagegen stützt sich die christliche Philosophie, d.h. die Philosophie der Idee und der Vernunft, die Philosophie der Persönlichkeit und der schöpferischen Tat, noch einmal auf die Möglichkeit einer Überwindung des Identitätsgesetzes und kann als homonsianische Philosophie charakterisiert werden. Sie ist - eine geistige Philosophie.
Das Streben zur reinen Homoiusie als zu ihrem Ziel bestimmt die Geschichte der neueren Philosophie in Westeuropa; das Hinneigen zur Homousie macht das eigenartige Wesen der russischen und überhaupt der orthodoxen Philosophie aus. Es ist dabei nicht von Belang, daß es weder dort, im Westen, noch hier bei uns ein bis zu Ende durchgeführtes homoiusianisches, bzw. homousianisches Denken gibt. Ja, wir wissen, daß ersteres nur in der feurigen Gehenna, letzteres nur im Paradiese - in der verklärten und vergeistigten Menschheit überhaupt möglich ist. Aber die Tendenzen beider Philosophien sind so bestimmt, daß ihre Klassifikation nach ihren idealen Zielen rechtmäßig und bequem ist.
Die Herrschaft der westlichen Philosophie erklärt die Geringschätzung und den seltenen Gebrauch des Ausdrucks "numerische Identität". Wenn man von Identität spricht, so versteht man darunter mehr oder weniger ausgesprochen die Vollständigkeit der Gleichheit - mehr nicht -, wie das seinerzeit, d.h. zu Beginn des 19. Jahrhunderts, Destut de Tracy verraten hat (die Identität - so sagt er - bedeutet die vollkommene und vollständige Gleichheit), und wie es heutzutage Palágyi ausdrücklich gesagt hat, nämlich daß es "dieselbe Wahrheit sei, die sich in unendlich vielen gleichlautenden Urteilsakten darstellen kann". Eben dieser, oder ein ähnlicher Gedanke ist der neuesten Definition der Identität in der Logistik zugrunde gelegt. Hier wird die Identität endgültig und bewußt mit der Gleichheit vertauscht.
[...]
Je strenger die Definition der Identität ist, um so deutlicher sondert sie in ihrem Gegenstand die merkmalsmäßige Identität ab und um so ausdrücklicher schließt sie von ihrer Betrachtung die numerische Identität aus; dabei hat sie es ausschließlich mit Dingen zu tun. Wenn man dagegen die numerische Identität berücksichtigt, so kann man sie nur beschreiben, verdeutlichen durch Hinweis auf den Ursprung der Idee der Identität, wobei man diesen Ursprung, die Uridentität, im Schoße der lebendigen Persönlichkeit findet.
Das kann natürlich auch gar nicht anders sein. Die numerische Identität ist ja die tiefste, und, so darf man wohl sagen, einzige Charakteristik der lebendigen Persönlichkeit. Die numerische Identität aussondern - das hieße die Persönlichkeit definieren. Definieren aber heißt - einen Begriff geben. Es ist aber unmöglich, einen Begriff der Persönlichkeit zu geben, denn eben dadurch unterscheidet sie sich von dem Ding, das sie im Gegensatz zu dem letzteren, welches dem Begriffe unterliegt und daher "begreiflich" ist, "unbegreiflich" ist, über die Grenzen jedes Begriffes hinausgeht, für jeden Begriff transzendent ist. Man kann lediglich ein Symbol für die wesenhafte Charakteristik der Persönlichkeit schaffen, oder ein Zeichen, ein Wort, weiches man, ohne es zu definieren, formal in das System der anderen Worte einführt, so daß man damit operieren kann wie mit Symbolen überhaupt, "als ob" es in der Tat das Zeichen für einen Begriff wäre. Was aber den Inhalt dieses Symbols betrifft, so kann er nicht verstandesmäßig sein, sondern nur unmittelbar erlebbar in der schöpferischen Erfahrung, in der Tätigkeit des Eigen-Aufbaus der Persönlichkeit, in der Identität des geistigen Eigen-Bewußtseins. Deshalb ist der Ausdruck "numerische ldentität" nur ein Symbol, kein Begriff.
Was ist nun das allgemeine Ergebnis dieser Erörterung? Die Notwendigkeit eines strengen Auseinanderhaltens der numerischen und der generischen Identität, und, folglich einer strengen Unterscheidung der Liebe als psychologischen Zustands, welcher der stofflichen Philosophie entspricht, und der Liebe, als ontologischen Aktes, welcher der persönlichen Philosophie entspricht. Anders gesagt, die christliche Liebe muß in unbedingtester Weise aus der Sphäre der Psychologie herausgehoben und in die Sphäre der Ontologie übergeführt werden. Nur wenn er diese Forderung im Auge behält, kann der Leser begreifen, daß alles, was über die Liebe gesagt wurde und noch gesagt werden wird - keine Metapher ist, sondern der genaue Ausdruck für unsre eigentliche Auffassung.
Die Erkenntnis Gottes durch den Menschen zeigt und offenbart sich unvermeidlich in der werktätigen Liebe zur Kreatur, welche mir in der unmittelbaren Erfahrung schon gegeben ist. Die offenbarte Liebe zur Kreatur wird aber gegenständlich als Schönheit angeschaut. Daher - der Genuß, die Freude, der Trost in der Liebe bei ihrer Anschauung. Das aber, was erfreut, heißt Schönheit; die Liebe, als Gegenstand der Anschauung - ist Schönheit.
Mein geistiges Leben, mein Leben im Geiste, die sich an mir vollziehende "Gott-Verähnlichung" ist Schönheit - dieselbe Schönheit der Ur-Schöpfung, von der geschrieben steht: "Und Gott sahe an Alles, was er gemacht hatte; und siehe da, es war sehr gut" (1. Mos. 1, 31).
Den unsichtbaren Gott lieben - das bedeutet, ihm sein Herz passiv auftun und seine aktive Offenbarung so erwarten, daß sich die Energie der göttlichen Liebe in das Herz herabsenke: "Die Ursache der Liebe zu Gott ist Gott" - sagt Bernhard von Clairvaux. Dagegen bedeutet, die sichtbare Kreatur lieben: die empfangene göttliche Energie sich offenbaren lassen durch den Empfangenden - nach außen und um den Empfangenden herum, gleichwie sie in der Dreieinigen Gottheit selber wirkt - sie auf den anderen, auf den nächsten übergehen lassen. Für die eigene menschliche Anstrengung ist die Liebe zum Nächsten absolut unmöglich. Das ist das Werk der göttlichen Kraft. Indem wir lieben, lieben wir durch Gott und in Gott.
Nur wer den Dreieinigen Gott erkannt hat, kann mit wahrer Liebe lieben. Wenn ich Gott nicht erkannt habe, seines Wesens nicht teilhaftig wurde, so, liebe ich nicht. Und umgekehrt: wenn ich liebe, so wurde ich Gottes teilhaftig, so kenne ich ihn; wenn ich aber nicht liebe, so bin ich seiner nicht teilhaftig und kenne ihn nicht. Hier besteht eine direkte Abhängigkeit des Wissens und der Liebe zur Kreatur. Als Mittelpunkt ihres Ausgehens erscheint mein Verbleiben in Gott und Gottes in mir.
"Und an dem merken wir, daß wir ihn kennen, so wir seine Gebote halten. Wer da sagt: ich kenne ihn - und hält seine Gebote nicht; der ist ein Lügner, und in solchem ist keine Wahrheit. Wer aber sein Wort hält, in solchem ist wahrlich die Liebe Gottes vollkommen. Daran erkennen wir, daß wir in ihm sind. Wer da sagt, daß er in ihm bleibt, der soll auch wandeln, gleich wie er gewandelt hat." (1. Joh. 2, 3-6) Aber einstweilen ist dieses wechselseitige Ineinander-Verbleiben Gottes und des Menschen noch ein Akt des freien Glaubens, keine Tatsache der zwangsmäßig herrschenden Erfahrung.
Die Episteln Johannes sind fast ausschließlich dieser Abhängigkeit gewidmet.
[...]
Keinen größeren Fehler kann man machen, als wenn man die geistige Liebe des die Wahrheit Erkennenden mit altruistischen Emotionen und dem Streben zum "Wohl der Menschheit" identifiziert, welche sich im besten Falle auf das natürliche Mitgefühl und auf abstrakte Ideen gründen. Für die "Liebe" im letzteren - jüdischen - Sinne beginnt und endet alles im empirischen Werk, der Wert der Tat wird durch ihre sichtbare Wirkung bestimmt. Aber für die geistige Liebe - im christlichen Sinne - ist dieser Wert nur Flitter. Sogar die sittliche Tätigkeit - wie die Philanthropie u.a.m., an sich genommen - ist nichtig. Nicht die Äußerlichkeit, nicht die "Hülle" besonderer Tätigkeiten sind wünschenswert, sondern das segensreiche Leben, das sich in jede schöpferische Bewegung der Persönlichkeit ergießt. Aber die "Hülle" als "Hülle", die empirische Äußerlichkeit als solche läßt stets eine Fälschung zu. Kein Zeitalter darf leugnen, daß "falsche Apostel und trügliche Arbeiter sich zu Christi Aposteln verstellen"; daß sogar "der Satan sich zum Engel des Lichtes verstellt" (2. Kor. 11, 13-14). Aber wenn alles Äußere gefälscht werden kann, so sind selbst die höchste Tat und das höchste Opfer - das Opfer des eigenen Lebens - an sich nichtig. [...]
Die sogenannte "Liebe" außer Gott ist keine Liebe, sondern nur eine natürliche, kosmische Erscheinung, die der christlichen unbedingten Bewertung ebensowenig unterliegt wie die physiologischen Funktionen des Magens. Es ist demnach ohne weiteres klar, daß die Worte "Liebe", "lieben" und die von ihnen abgeleiteten hier in ihrem christlichen Sinne gebraucht werden und daß Familien-, Stammes- und nationale Gewohnheiten, Egoismus, Eitelkeit, Herrschsucht, sinnliche Begierde und andere "Abfälle menschlicher Gefühle", die sich mit dem Worte Liebe bemänteln, außer Betracht bleiben.
Die wahre Liebe ist ein Heraustreten aus dem Empirischen und der Übergang in eine neue Wirklichkeit.
Die Liebe zum anderen ist die Zurückstrahlung des wahren Wissens auf ihn; das Wissen aber ist die Offenbarung der Dreipersönlichen Wahrheit selbst für das Herz, d.h. das Verbleiben der Liebe Gottes zum Menschen in der Seele: "So wir uns untereinander lieben, so bleibt Gott in uns, und seine Liebe ist völlig in uns" (1. Joh. 4, 12); so sind wir zu Ihm nicht nur in eine unpersönliche providenzial-kosmische Beziehung getreten, sondern auch in eine persönliche väterlich-sohnliche Gemeinschaft. Daher, "wenn unser Herz uns nicht verdammt" - freilich muß das Herz selber, um urteilen zu können, wenigstens einigermaßen von der Rinde der Missetat gereinigt sein, die seine Oberfläche verdorben, hat, und fähig zu einem Urteil über die Echtheit der Liebe - d.h. Wenn wir mit einem geläuterten Bewußtsein uns dessen bewußt sind, daß wir wirklich lieben, "nicht mit Worten und mit der Zunge, sondern mit der Tat und mit der Wahrheit" (1. Joh. 3, 18), daß wir wirklich eine neue Wesenheit bekommen haben, wirklich in eine persönliche Gemeinschaft zu Gott getreten sind - "dann haben wir eine Freudigkeit zu Gott" (1. Joh. 3, 21), denn wer fleischlich ist, urteilt von allem nach dem Fleische. Aber "wer seine Gebote hält, der bleibt in ihm und er in ihm" (1. Joh. 3, 24); wenn wir ihn lieben, so "bleiben wir in ihm und er in uns" (1. Joh. 4, 13).
Wir sagen "Liebe". Ab er es fragt sich, worin diese geistige Liebe konkret zum Ausdruck kommt? In der Überwindung der Grenzen der Selbstheit, in dem Heraustreten aus sich selber, wozu eine geistige Gemeinschaft miteinander erforderlich ist. "So wir sagen, daß wir Gemeinschaft mit ihm (mit Gott) haben, und wandeln in der Finsternis, so lügen wir und tun nicht die Wahrheit. So wir aber im Licht wandeln, wie er im Licht ist, so haben wir Gemeinschaft untereinander" (1. Joh. 1, 6-7).
Die absolute Wahrheit wird in der Liebe erkannt. Aber das Wort "Liebe" wird, wie schon erklärt wurde, nicht im subjektiv-psychologischen, sondern im objektiv-metaphysischen Sinne verstanden. Es ist nicht so, daß die Liebe zum Bruder selbst den Inhalt der Wahrheit ausmachte, wie die Tolstojaner und die ihnen ähnlichen religiösen Nihilisten behaupten; es ist nicht so, als wäre durch diese Liebe zum Bruder alles erschöpft. Nein, und abermals nein! Die Liebe zum Bruder - das ist die Erscheinung für den anderen, der Übergang auf den anderen, gleichsam das Einströmen in den anderen jenes Eintretens in das göttliche Leben, welches dem mit Gott in Gemeinschaft tretenden Subjekt selbst als das Wissen von der Wahrheit bewußt wird. Die metaphysische Natur der Liebe liegt in der überlogischen Überwindung der nackten Selbst-Identität "Ich = Ich" und in dem Heraustreten aus sich selber; das aber findet statt bei dem Ausströmen der göttlichen Kraft, welche die Bande der menschlichen endlichen Selbstheit zerreißt, auf den anderen, bei dem Einströmen in den anderen. Kraft dieses Heraustretens wird das Ich im anderen, im Nicht-Ich, zu diesem Nicht-Ich, wird wesenseins mit dem Bruder - wesenseins (
dmoousioz) nicht nur wesensgleich (dmoiousioz). Eine solche Wesensgleichheit macht den Moralismus aus, d.h. den vergeblichen innerlich-wahnwitzigen Versuch einer menschlichen, außergöttlichen Liebe. Indem es sich über das logische, inhaltlos-leere Identitätsgesetz erhebt und mit dem geliebten Bruder identifiziert, macht sich das Ich eben durch diese freie Handlung zum Nicht-Ich, oder, um die Sprache der heiligen Gesänge zureden, es "verwüstet", "erschöpft", "entäußert" und "erniedrigt sich" (vgl. Phil. 2, 7), d.h. es beraubt sich der ihm nach dem Gesetz des ontologischen Egoismus oder der Identität notwendig gegebenen und ihm zugehörigen Attribute und natürlichen Gesetze der inneren Tätigkeit; wegen der Norm eines fremden Seins tritt das Ich aus seinen Schranken heraus, aus der Norm seines eigenen Seins und ordnet sich freiwillig einer neuen Gestalt unter, um dadurch sein Ich in das Ich eines anderen Wesens, welches für es als Nicht-Ich erscheint, einzuschließen. Auf diese Weise wird das unpersönliche Nicht-Ich zur Person, zu einem anderen Ich, d.h. zum Du. Aber eben in dieser "Verarmung" und "Erschöpfung" des Ich, in dieser "Verwüstung" oder "Kenosis" (cenwsiz) seiner selbst erfolgt die rückläufige Wiederherstellung des Ich in der ihm eigentümlichen Norm des Seins, wobei diese Norm schon nicht mehr einfach als gegeben, sondern auch als gerechtfertigt erscheint, d.h. nicht nur als am gegebenen Ort und im gegebenen Moment einfach vorhanden, sondern im Besitz einer universellen und ewigen Bedeutung. In dem anderen findet die Gestalt meines Daseins durch ihre Erniedrigung ihre "Erlösung" von der Herrschaft der sündhaften Selbstbejahung, wird von der Sünde des gesonderten Daseins befreit, von dem die griechischen Denker gesprochen haben, und im dritten wird sie als erlöst "verklärt", d.h. in ihrem unvergänglichen Wert befestigt. Dagegen wäre das Ich ohne Erniedrigung nur potentia, nicht actu im Besitz seiner eigenen Norm. Die Liebe ist das "Ja", welches das Ich zu sich selber sagt, der Haß aber ist das "Nein" zu sich selbst. Unübersetzbar, aber ausdrucksvoll prägt R. Hamerling diese Idee in der Formel aus: die Liebe ist "das lebhafte Sich-selbst-bejahen des Seins". Die Liebe verbindet den Wert mit der Gegebenheit, führt in die entgleitende Gegebenheit das Sollen, die Pflicht ein; die Pflicht aber ist eben das, was der Gegebenheit die Dauer gibt; ohne die Pflicht verfließt (xei) sie, mit der Pflicht aber verbleibt (menei) sie. Die Liebe verbindet zwei Welten: "Darin eben ist das Große, daß hier ein Geheimnis ist - daß die vorübergehende irdische Gestalt und die ewige Wahrheit sich hier miteinander berühren."
Die Liebe des Liebenden gibt, indem sie sein Ich in das Ich des Geliebten, in das Du überträgt, dadurch dem geliebten Du die Kraft, das Ich des Liebenden in Gott zu erkennen und es in Gott zu lieben. Der Geliebte wird selbst zum Liebenden, erhebt sich selbst über das Gesetz der Identität und identifiziert sich in Gott mit dem Objekt seiner Liebe. Er überträgt sein Ich in das Ich des ersteren durch Vermittlung eines dritten usw. Aber diese gegenseitigen Selbst-Übergaben, Selbst-Erschöpfungen, Selbst-Erniedrigungen der Liebenden stellen sich nur für den Verstand als eine Reihe dar, die ins Unendliche geht. Sich über die Schranken seiner Natur erhebend, tritt das Ich aus der zeiträumlichen Beschränkung heraus und in die Ewigkeit hinein. Dort ist der ganze Prozeß der Wechselbeziehung der Liebenden ein einziger Akt, in dem die unendliche Reihe, die unendliche Serie der einzelnen Momente der Liebe synthetisiert wird. Dieser eine ewige und unendliche Akt ist die Wesens-Einheit der in Gott Liebenden, wobei das Ich als ein und dasselbe mit dem anderen Ich, und zugleich als von diesem verschieden erscheint. Jedes Ich ist ein Nicht-Ich, d.h. ein Du kraft des Lossagens von sich zugunsten eines anderen und - ein Ich kraft des Lossagens des anderen ,Ich von sich zugunsten des ersteren. Anstatt der vereinzelten, zersplitterten, selbst beharrenden Iche ergibt sich eine Zweiheit - ein zweieiniges Wesen, welches das Prinzip seiner Einheit in Gott hat: "finis amoris, ut duo unum fiant (das Ziel der Liebe ist, daß zwei eines werden)". Dabei sieht aber jedes Ich, wie' im Spiegel, im göttlichen Ebenbild des anderen Ich sein eigenes göttliches Ebenbild.
Diese Zweiheit hat zu ihrem Wesen die Liebe und als konkret inkarnierte Liebe ist sie schön für die gegenständliche Anschauung. Wenn dem ersten Ich die Wahrheit als Ausgangspunkt der Wesenseinheit dient, und dem zweiten, dem Du - die Liebe, so wird ,dem dritten Ich, dem Er, die Schönheit zu einem solchen Ausgangspunkt werden. In ihm erweckt die Schönheit Liebe und die Liebe gibt das Wissen der Wahrheit. Die Schönheit der Zweiheit genießend, liebt er sie und dadurch - erkennt er, indem er jedes Ich in seinem hypostatischen Ur-Sein behauptet. Durch diese seine Behauptung stellt das anschauende Ich die Selbst-Identität der angeschauten Personen wieder her: des ersten Ich, als des liebenden und geliebten Ich; des zweiten Ich, als des geliebten und liebenden - als des Du. Eben dadurch, durch seine Hingabe an die Zweiheit, durch das Zerreißen der Hülle seiner Selbst-Eingeschlossenheit, wird das dritte Ich ihrer Wesenseinheit in Gott teilhaftig, und die Zweiheit wird zur Dreiheit. Aber Er, dieses dritte Ich, als die Zweiheit gegenständlich anschauend, wird selbst zum Anfang einer neuen Dreiheit. Durch die dritten Iche wachsen alle Dreiheiten untereinander in ein wesenseiniges Ganzes zusammen - in die Kirche oder den Leib Christi, als die gegenständliche Offenbarung der Hypostasen der göttlichen Liebe. Jedes dritte Ich kann das erste in der zweiten Dreiheit, und das zweite in der dritten sein, so daß diese Kette der Liebe, mit der absoluten Dreieinigkeit beginnend - die, wie der Magnet eine Franse von Eisenspänen, alles zusammenhält -, sich iminer weiter und weiter erstreckt. Die Liebe ist nach dem hl. Augustin ein "gewisses Leben, das verbindet und zuverbinden strebt (vita quaedam, copulans vel copulare appetens)". Einen ähnlichen Gedanken spricht auch Johannes Scotus Erigena aus. "Die Liebe" - sagt er - "ist ein Band, durch das alle Dinge vermöge einer unaussprechlichen Freundschaft und einer unzerreißbaren Einheit verbunden werden." Das eben ist das Wehen des Heiligen Geistes, der durch die Freude des Schauens tröstet, allgegenwartig ist ,und alles mit der heiligen Gabe erfüllt, Leben spendet, und durch sein Einwohnen die Welt von allem Übel reinigt. Aber für das Bewußtsein offenbart sich seine lebendig-schöpferische Tätigkeit nur bei der höchsten Erleuchtung der Geistigkeit.
[...]

[Übersetzung Nikolai von Bubnoff]

 

zurück | weiter

 

der pfeiler und die grundfeste der wahrheit

 

editionen
texte zu florenskij
biographie
bibliographie

 

homepage


© KONTEXTverlag [anfragen] relaunch version 2001 [bestellungen] alle rechte vorbehalten