[...]
Im Glauben selbst habe ich unerwartet für mich selber die
erste Andeutung des von mir Gesuchten gefunden. Es kommt bisweilen
im Februar vor, daß die Sonne hell strahlt und ein mildes
Lüftchen weht. Obwohl das Frühjahr noch fern ist, so
riecht es doch schon nach Frühling. So ist es auch im Gebet.
Als ich mir um der Wahrheit willen Gewalt antat, trat ich in
eine persönliche, lebendige Gemeinschaft zur Wahrheit. Ich
sagte mich von mir selber los und verletzte dadurch das tiefere
Gesetz der Identität, weil das nackte "Ich" aufhörte
zu sein! Es erfolgte eine gewisse Befestigung des Ich, aber -
in einem neuen Sinn. Jenes Ich, welches einen Beweis verlangte,
fing an, diesen Beweis unklar wahrzunehmen, fing an zu
fühlen, daß der Beweis kommen werde. Wie nach einer
Krankheit erfolgte eine gewisse Wiederherstellung. Schon war
die aufmunternde Frische der Ewigkeit selbst zu spüren und
ihr fernes Rauschen zu vernehmen. Wie in einem vormorgendlichen
Nebel schritt ich dahin und betrachtete die unklaren Umrisse
der Wahrheit selbst. Ich möchte meinen Zustand damit vergleichen,
als hätte sich mein ganzer Körper in weiches Wachs
verwandelt und in alle Adern Milch ergossen: gerade so pflegt
es zu sein nach einem langen Gebet mit Verneigungen. Mein Vergleich
wird vielleicht komisch scheinen, aber ich finde keinen besseren.
Irgendwie verband sich damit die Liebe zu den Menschen, und in
der Liebe fand ich das erste Stadium der längst ersehnten
Intuition.
Wenn Gott ist - und das wurde für mich unzweifelhaft -,
so ist Er notwendig die absolute Liebe. Aber die Liebe ist kein
Merkmal Gottes. Gott wäre nicht die absolute Liebe, wenn
Er nur die Liebe zu einem Anderen, Bedingten, Vergänglichen,
zur Welt wäre; denn dann wäre Gottes Liebe abhängig
von einem bedingten Sein und folglich selbst zufällig. Gott
ist ein absolutes Wesen, weil Er der substantielle Akt der Liebe,
Akt-Substanz ist. Gott oder die Wahrheit hat nicht nur die Liebe,
sondern, vor allem, "Gott ist die Liebe" (1. Joh. 4;
8, 16), d.h. die Liebe - ist Gottes Wesen, seine ureigene Natur,
und nicht nur eine seiner Vorsehung zukommende Beziehung. Anders
gesagt, Gott ist die Liebe, und nicht nur der, wenn auch "vollkommen",
"Liebende".
Dieser Satz ist der Gipfel des theoretischen ("negativen")
Wissens und der Übergang zum praktischen ("positiven").
Bisher war jedes Urteil von seinem unvermeidlichen Schatten begleitet
- von der Bedingung: "Wenn Gott überhaupt ist."
Jetzt, im Lichte des intuitiv-diskursiven Wissens, zergeht dieser
Schatten und verflüchtigt sich. Aber mit ihm zugleich entschwindet
auch die Möglichkeit zu überzeugen, weil die Zeit für
das Asketentum gekommen ist. Hier ist es nur möglich, einige
Kennzeichen dieses neuen Weges allgemein anzudeuten, aber nur
durch die persönliche Erfahrung kann sich ein jeder von
der Richtigkeit alles weiteren überzeugen. Was für
den durch das Erleben Hindurchgeschrittenen bereits absolutes
Wissen ist, das stellt sich dem Theoretiker lediglich als eine
Fortsetzung des Probabilismus dar. Aber für den Philosophen
ist das experimentum crucis gemacht. Seine hypothetische Konstruktion
hat sich entweder als Wahrheit erwiesen, und alsdann als
gewisse Wahrheit, oder aber als leere Mutmaßung.
Aber wenn diese Konstruktion Lüge ist, dann gibt es überhaupt
keine Wahrheit; in diesem Falle kann auch der Satz von der
Lüge selbst nicht wahr sein usw. Der Philosoph verfällt
in die epoché, und ist gezwungen, alles von vorne zu beginnen,
sich zu quälen, wieder zu versuchen und zu glauben, ewig
zu glauben - zu glauben bis zur Qual und bis zum Tode. Bei dem
einfachen Nihilismus kann sich jener nicht beruhigen, der die
Wahrheit will. "Glaube an die Wahrheit, hoffe auf die Wahrheit,
liebe die Wahrheit" - das ist die Stimme der Wahrheit selbst,
welche unwandelbar in der Seele des Philosophen erschallt. Und
wenn ihn bei dem ersten Versuch des Glaubens ein Mißerfolg
treffen sollte, so würde er mit verdoppelter Entschlossenheit
von neuem daran gehen. - Ich schreibe dies übrigens mehr
zur formalen Antwort auf die Frage als um des Wesens der Sache
willen, denn die Erfahrung beweist, daß der Glaube immer
gelingt. Wie das Einzige Buch von Abraham berichtet: "Abraham
hat Gott geglaubet, und das ist ihm zur Gerechtigkeit gerechnet"
(1. Mos. 15, 6 = Röm. 4, 3) - er gehorchte dem geheimnisvollen
Ruf der Unbekannten Wahrheit, "durch den Glauben ward er
gehorsam, da er berufen ward, auszugehen in das Land, das er
ererben sollte; und ging aus und wußte nicht, wo er hin
käme. Durch den Glauben ist er ein Fremdling gewesen in
dem verheißenen Lande als in einem fremden" (Hebr.
11; 8, 9).
Wie Abraham, so auch die anderen Gerechten (siehe Hebr. 11).
"Wo sie das Vaterland gemeint hätten, von welchem sie
waren ausgezogen, hatten sie ja Zeit, wieder umzukehren. Nun
aber begehren sie eines besseren, nämlich eines himmlischen.
Darum schämt sich Gott ihrer nicht, zu heißen ihr
Gott" (Hebr. 11; 15, 16). Das ist die Erfahrung der Geschichte.
Die Gerechten strebten frei nach dem "Unsichtbaren",
d.h. dem ihnen nicht gegebenen Himmel, und der Himmel hat sie
aufgenommen. Und der Philosoph wird, indem er nach Wahrheit strebt,
weder zum Götzendienst der blinden Intuition, noch zu dem
Eigenwillen der hochmütigen Diskursion zurückkehren;
nein, er wird von seinem Streben nach dem BEKANNTEN GOTT nicht
ablassen.
Aber wir wollen uns darüber klar werden, wie und kraft wessen
der Himmel den Philosophen aufnimmt.
Wie immer wir über die menschliche Vernunft denken
mögen, so haben wir doch ohne weiteres die Möglichkeit
zu behaupten, daß sie ein Organ des Menschen, seine lebendige
Tätigkeit, seine reale Kraft, lógos, ist. Im gegenteiligen
Falle, im Falle, daß sie uns als "an sich" seiend
und daher als ein Irreales - diánoia - gilt, sind wir
unvermeidlich zu einer ebenso unbestreitbaren und von vornherein
feststehenden Verneinung der Realität des Wissens genötigt.
Wenn nämlich die Vernunft des Seins nicht teilhaftig ist,
so hat auch das Sein an der Vernunft nicht teil, d.h. es ist
alogisch. Dann ist der Illusionismus unvermeidlich und jeglicher
Nihilismus, der in einen schwächlichen und kläglichen
Skeptizismus mündet. Der einzige Ausweg aus diesem Sumpf
der Relativität und Bedingtheit ist die Anerkennung einer
des Seins teilhaftigen Vernunft und eines der Vernünftigkeit
teilhaften Seins. Wenn dem aber so ist, dann ist der Akt des
Erkennens nicht nur ein gnoseologischer, sondern auch ein ontologischer,
nicht nur ein idealer, sondern auch ein realer Akt. Die Erkenntnis
ist ein reales Aus-Sich-Herausgehen des Erkennenden oder
- was dasselbe ist - ein reales Hineingehen dessen, was
erkannt wird, in den Erkennenden - eine reale Vereinigung des
Erkennenden und des Erkannten. Das ist die fundamentale und charakteristische
These der gesamten russischen und überhaupt der östlichen
Philosophie. Wir sind zu ihr auf einem etwas anderen und sichereren
Wege gekommen, indem wir geradezu auf das Herz und die Seele
dieses "Herausgehen aus sich selber" als auf einen
Glaubensakt im religiösen, orthodoxen Sinn hinwiesen,
denn das wahre "Hinausgehen" ist eben der Glaube,
alles andere kann traumhaft und trügerisch sein. Die Erkenntnis
ist also kein Ergreifen des toten Objekts durch das raubgierige
gnoseologische Subjekt, sondern eine lebendige sittliche Gemeinschaft
der Persönlichkeiten, von denen jede jeder als Subjekt und
als Objekt dient. Im eigentlichen Sinne ist nur die Persönlichkeit
und durch die Persönlichkeit erkennbar.
Anders gesagt sind die wesentliche Erkenntnis, als Akt
des erkennenden Subjekts, und die wesentliche Wahrheit, als erkanntes
reales Objekt - real ein und dasselbe, obwohl sie sich im abstrakten
Verstande unterscheiden.
Die wesenhafte Erkenntnis der Wahrheit, d.h. das der Wahrheit
selbst Teilhaftigwerden, ist folglich ein reales Eingehen in
den Schoß der göttlichen Trinität, nicht nur
ein ideales Berühren ihrer äußeren Form. Daher
ist die wahre Erkenntnis - die Erkenntnis der Wahrheit - nur
durch eine Wesenswandlung des Menschen möglich, durch seine
Vergöttlichung, durch das Erwerben der Liebe, als göttlicher
Wesenheit: wer nicht mit Gott ist, der kennt Gott nicht. In der
Liebe, und nur in der Liebe, ist die wirkliche Erkenntnis der
Wahrheit denkbar. Und umgekehrt äußert sich die Erkenntnis
der Wahrheit in der Liebe: wer mit der Liebe ist, der kann nicht
lieben. Man kann hier nicht sagen, was Ursache und was Wirkung
sei, weil das eine und das andere nur Seiten eines und
desselben geheimnisvollen Vorgangs sind - des Eingehens Gottes
in mich, als in das philosophierende Subjekt und meiner in Gott
als in die objektive Wahrheit.
Innerhalb meiner selbst betrachtet (nach dem Modus "Ich")
"in sich" oder genauer "an sich", ist dieses
Eingehen Erkenntnis; für "den anderen" (nach dem
Modus "Du") ist es - Liebe; und schließlich "für
mich", als objektiviert und gegenständlich (d.h. nach
dem Modus "Er" betrachtet), ist es Schönheit.
Anders gesagt, meine Erkenntnis Gottes, welche in mir
von einem anderen wahrgenommen wird, ist die Liebe zu dem Wahrnehmenden;
die durch einen dritten gegenständlich angeschaute Liebe
zum anderen ist aber die Schönheit.
Was für das Subjekt des Erkennens die Wahrheit ist, das
ist für sein Objekt die Liebe zu ihm, und für den das
Erkennen (das Erkennen des Objekts durch das Subjekt) Anschauenden
- die Schönheit.
"Das Wahre, das Gute und das Schöne" -
diese metaphysische Trias - sind nicht drei verschiedene Prinzipien,
sondern eines. Es ist ein und dasselbe geistige Leben,
jedoch von verschiedenen Gesichtspunkten aus betrachtet. Das
geistige Leben, das von dem Ich ausgeht und im Ich seinen Mittelpunkt
hat, ist die Wahrheit. Als unmittelbare Wirkung eines anderen
wahrgenommen, ist es das Gute. Von einem dritten gegenständlich
angeschaut, als nach außen strahlend, ist es das Schöne.
Die offenbarte Wahrheit ist Liebe. Die verwirklichte Liebe ist
Schönheit. Die Liebe selbst ist Gottes Wirkung in mir und
meiner in Gott; dieses Zusammen-Wirken ist der Beginn meines
Teilhaftig-Werdens des Göttlichen Lebens und Seins, d.h.
der wesenhaften Liebe, denn die unbedingte Wahrheit Gottes entfaltet
sich gerade in der Liebe.
Gott, der mich als seine Kreatur kennt, der mich durch den Sohn
als sein "Bild"", als seinen Sohn liebt, der sich
an mir im Heiligen Geiste als an seinem "Ebenbilde"
freut, kennt mich, liebt mich und erfreut
sich an mir aktiv, denn ich bin ihm gegeben. Als Quell
des Wissens, der Liebe und der Freude erscheint hier Gott selber.
Aber mein Wissen Gottes, meine Liebe zu Gott, meine Freude an
Gott sind passiv, weil mir Gott nur teilweise gegeben
ist und nur nach Maßgabe meiner Gott-Verähnlichung
gegeben werden kann. Das Ähnlich-Werden der Liebe Gottes
ist aber die tätige Liebe zu dem mir schon Gegebenen. Weshalb
denn aber Liebe und nicht Wissen oder Freude? Darum, weil
die Liebe ein substantieller Akt ist, welcher vom Subjekt auf
das Objekt übergeht und seine Stütze - im Objekt hat,
während das Wissen und die Freude auf das Subjekt gerichtet
sind und in ihm den Angriffspunkt ihrer Kraft haben. Die Liebe
Gottes geht auf uns über, aber das Wissen und die anschauende
Freude verbleiben in ihm selber. Eben deshalb wurde nicht die
Person des Vaters und nicht diejenige des Heiligen Geistes (Paraklet
= Tröster, Spender der Freude) Fleisch, sondern der Sohn
= das Wort, die der göttlichen Person eigene göttliche
Liebe, das Herz des Vaters - wenn es erlaubt ist, diesen treffenden
Ausdruck Jakob Böhmes zu verwenden: Gottes Sohn ist nach
Jakob Böhme - "das Herz in dem Vater".
Zur Vermeidung von Mißverhältnissen ist es notwendig,
den Ontologismus einer solchen Auffassung der Liebe zu
unterstreichen, welcher seine historischen Wurzeln in der alten
realistischen Lebensauffassung hat. In der modernen illusionistischen
Lebensauffassung dagegen herrscht eine psychologische Betrachtung
der Liebe, die, obwohl sie von jenem nicht ausgeschlossen wird,
so doch eben im Vergleich zu ihm viel zu armselig ist. [...]
Worin liegt der Gegensatz der Sache und der Person,
welcher dem Gegensatz der Begierde und der Liebe
zugrunde liegt? Darin, daß die Sache durch ihre äußere
Einheit charakterisiert ist, d.h. durch die Einheit der Summe
der Merkmale, während die Person ihren wesentlichen Charakter
in der inneren Einheit hat, d.h. in der Einheit der Tätigkeit
des Eigen-Aufbaus - in jener Eigensetzung des Ich, von welcher
Fichte spricht. Folglich wird die Identität der Dinge vermöge
der Identität der Begriffe festgestellt, aber die
Identität der Persönlichkeit - vermöge der Einheit
ihrer selbst-aufbauenden oder selbst-setzenden
Tätigkeit. Ferner aber kann man von zwei Dingen niemals
im strengen Sinne des Wortes sagen, daß sie "identisch"
sind; sie sind bloß "ähnlich", wenn auch
"in allem", bloß einander gleich, wenn
auch in allen Merkmalen. Daher kann die Identität der Dinge
gattungsmäßig, generisch, oder artmäßig,
spezifisch sein, kurz gesagt merkmalsmäßig
nach dieser oder jener Anzahl von Merkmalen, die Übereinstimmung
nach der transfiniten Mehrheit von Merkmalen oder selbst - ein
Grenzfall - nach allen Merkmalen mit einbegriffen, aber doch
nicht numerisch, nicht zahlenmäßig.
Der Begriff der numerischen Identität ist auf Dinge
nicht anwendbar; ein Ding kann nur ein "eben solches"
oder "nicht eben solches", aber niemals "dasselbe"
oder "nicht dasselbe" sein. Dagegen kann man von zwei
Personen eigentlich nicht sagen, daß sie "gleich",
sondern nur daß sie "identisch" oder "nicht
identisch" sind. Für Persönlichkeiten, als Persönlichkeiten,
ist entweder deren numerische Identität möglich oder
gar keine. Allerdings spricht man bisweilen von einer "Ähnlichkeit
der Persönlichkeiten", aber das ist ein ungenauer Sprachgebrauch,
weil dabei in Wahrheit nicht die Ähnlichkeit der Personen,
sondern die Ähnlichkeit dieser oder jener Eigenschaften
ihrer psycho-physischen Mechanismen verstanden wird, d.h. die
Rede von dem ist, was, obwohl in der Persönlichkeit, doch
nicht die Persönlichkeit selbst ist. Die Persönlichkeit,
im Sinne der reinen Persönlichkeit verstanden, ist
für jedes Ich nur ein Ideal - das Ziel seines Strebens und
Eigen-Aufbaus. Aber für die Liebe der reinen Persönlichkeiten,
d.h. solcher Persönlichkeiten, die sich des Mechanismus
ihrer Organisationen vollständig bemächtigt, ihren
Leib und ihre Seele vergeistigt haben, für die Liebe solcher
Persönlichkeiten ist nur eine rein numerische Identität
möglich, dmoousia während für die reinen
Dinge nur eine generische Gleichheit, dmoousia möglich ist. Die noch nicht reinen
Persönlichkeiten aber, die Persönlichkeiten, inwiefern
sie dingbaft, leiblich, fleischlich sind, sind auch insofern
der "Ausgleichung" der Begierde fähig; inwiefern
sie aber rein sind und sich von der "Dinghaftigkeit"
losgelöst haben, insofern sind sie der "Identifizierung"
der Liebe fähig.
Aber was ist denn diese Dinghaftigkeit der Persönlichkeit?
Das ist ihre stumpfe Selbst-Gleichheit, welche ihr die Einheit
des Begriffes gibt, der in der Gesamtheit seiner Merkmale
eingeschlossen ist, d.h. des toten und unbeweglichen Begriffes.
Anders gesagt, ist es nichts anderes, als die rationalistische
"Begreiflichkeit" der Persönlichkeit, d.h. ihre
Unterordnung unter das Verstandesgesetz der Identität. Dagegen
ist der persönliche Charakter der Persönlichkeit -
die lebendige Einheit ihrer selbst-schöpferischen Tätigkeit,
das schöpferische Heraustreten aus ihrer Eingeschlossenheit
in sich selbst, oder auch, er ist ihre Nicht-Einfügbarkeit
in einen Begriff, daher ihre "Unbegreiflichkeit" und
folglich Unannehmbarkeit für den Rationalismus. Der Sieg
über das Identitätsgesetz - das ist es, was die Persönlichkeit
über das leblose Ding erhebt, und was sie zum lebendigen
Mittelpunkt der Tätigkeit macht. Es ist ,aber begreiflich,
daß die Tätigkeit, ihrem eigentlichen Wesen
nach, für den Rationalismus unfaßbar ist, denn alle
Tätigkeit ist schöpferische Kraft, d.h. Hinzufügen
zu der Gegebenheit dessen, was noch nicht Gegebenheit
ist, und folglich Überwindung des Identitätsgesetzes.
Der Rationalismus, d.h. die Philosophie des Begriffes
und des Verstandes, die Philosophie des Dinges
und der leblosen Unbewegtheit ist somit noch einmal gänzlich
mit dem Identitätsgesetz verbunden und kann zusammenfassend
als homoiusianische Philosophie charakterisiert werden.
Er ist - eine fleischliche Philosophie.
Dagegen stützt sich die christliche Philosophie,
d.h. die Philosophie der Idee und der Vernunft,
die Philosophie der Persönlichkeit und der
schöpferischen Tat, noch einmal auf die Möglichkeit
einer Überwindung des Identitätsgesetzes und kann als
homonsianische Philosophie charakterisiert werden. Sie
ist - eine geistige Philosophie.
Das Streben zur reinen Homoiusie als zu ihrem Ziel bestimmt
die Geschichte der neueren Philosophie in Westeuropa; das Hinneigen
zur Homousie macht das eigenartige Wesen der russischen
und überhaupt der orthodoxen Philosophie aus. Es ist dabei
nicht von Belang, daß es weder dort, im Westen, noch hier
bei uns ein bis zu Ende durchgeführtes homoiusianisches,
bzw. homousianisches Denken gibt. Ja, wir wissen, daß ersteres
nur in der feurigen Gehenna, letzteres nur im Paradiese - in
der verklärten und vergeistigten Menschheit überhaupt
möglich ist. Aber die Tendenzen beider Philosophien sind
so bestimmt, daß ihre Klassifikation nach ihren idealen
Zielen rechtmäßig und bequem ist.
Die Herrschaft der westlichen Philosophie erklärt die Geringschätzung
und den seltenen Gebrauch des Ausdrucks "numerische Identität".
Wenn man von Identität spricht, so versteht man darunter
mehr oder weniger ausgesprochen die Vollständigkeit der
Gleichheit - mehr nicht -, wie das seinerzeit, d.h. zu Beginn
des 19. Jahrhunderts, Destut de Tracy verraten hat (die
Identität - so sagt er - bedeutet die vollkommene und vollständige
Gleichheit), und wie es heutzutage Palágyi ausdrücklich
gesagt hat, nämlich daß es "dieselbe Wahrheit
sei, die sich in unendlich vielen gleichlautenden Urteilsakten
darstellen kann". Eben dieser, oder ein ähnlicher Gedanke
ist der neuesten Definition der Identität in der Logistik
zugrunde gelegt. Hier wird die Identität endgültig
und bewußt mit der Gleichheit vertauscht.
[...]
Je strenger die Definition der Identität ist, um so deutlicher
sondert sie in ihrem Gegenstand die merkmalsmäßige
Identität ab und um so ausdrücklicher schließt
sie von ihrer Betrachtung die numerische Identität
aus; dabei hat sie es ausschließlich mit Dingen
zu tun. Wenn man dagegen die numerische Identität berücksichtigt,
so kann man sie nur beschreiben, verdeutlichen durch Hinweis
auf den Ursprung der Idee der Identität, wobei man diesen
Ursprung, die Uridentität, im Schoße der lebendigen
Persönlichkeit findet.
Das kann natürlich auch gar nicht anders sein. Die numerische
Identität ist ja die tiefste, und, so darf man wohl sagen,
einzige Charakteristik der lebendigen Persönlichkeit. Die
numerische Identität aussondern - das hieße die Persönlichkeit
definieren. Definieren aber heißt - einen Begriff
geben. Es ist aber unmöglich, einen Begriff der Persönlichkeit
zu geben, denn eben dadurch unterscheidet sie sich von dem Ding,
das sie im Gegensatz zu dem letzteren, welches dem Begriffe unterliegt
und daher "begreiflich" ist, "unbegreiflich"
ist, über die Grenzen jedes Begriffes hinausgeht, für
jeden Begriff transzendent ist. Man kann lediglich ein Symbol
für die wesenhafte Charakteristik der Persönlichkeit
schaffen, oder ein Zeichen, ein Wort, weiches man,
ohne es zu definieren, formal in das System der anderen
Worte einführt, so daß man damit operieren kann wie
mit Symbolen überhaupt, "als ob" es in der Tat
das Zeichen für einen Begriff wäre. Was aber
den Inhalt dieses Symbols betrifft, so kann er nicht verstandesmäßig
sein, sondern nur unmittelbar erlebbar in der schöpferischen
Erfahrung, in der Tätigkeit des Eigen-Aufbaus der Persönlichkeit,
in der Identität des geistigen Eigen-Bewußtseins.
Deshalb ist der Ausdruck "numerische ldentität"
nur ein Symbol, kein Begriff.
Was ist nun das allgemeine Ergebnis dieser Erörterung? Die
Notwendigkeit eines strengen Auseinanderhaltens der numerischen
und der generischen Identität, und, folglich einer strengen
Unterscheidung der Liebe als psychologischen Zustands,
welcher der stofflichen Philosophie entspricht, und der Liebe,
als ontologischen Aktes, welcher der persönlichen
Philosophie entspricht. Anders gesagt, die christliche Liebe
muß in unbedingtester Weise aus der Sphäre der Psychologie
herausgehoben und in die Sphäre der Ontologie übergeführt
werden. Nur wenn er diese Forderung im Auge behält, kann
der Leser begreifen, daß alles, was über die Liebe
gesagt wurde und noch gesagt werden wird - keine Metapher ist,
sondern der genaue Ausdruck für unsre eigentliche Auffassung.
Die Erkenntnis Gottes durch den Menschen zeigt und offenbart
sich unvermeidlich in der werktätigen Liebe zur Kreatur,
welche mir in der unmittelbaren Erfahrung schon gegeben ist.
Die offenbarte Liebe zur Kreatur wird aber gegenständlich
als Schönheit angeschaut. Daher - der Genuß, die Freude,
der Trost in der Liebe bei ihrer Anschauung. Das aber, was erfreut,
heißt Schönheit; die Liebe, als Gegenstand
der Anschauung - ist Schönheit.
Mein geistiges Leben, mein Leben im Geiste, die sich an mir vollziehende
"Gott-Verähnlichung" ist Schönheit - dieselbe
Schönheit der Ur-Schöpfung, von der geschrieben steht:
"Und Gott sahe an Alles, was er gemacht hatte; und siehe
da, es war sehr gut" (1. Mos. 1, 31).
Den unsichtbaren Gott lieben - das bedeutet, ihm sein Herz passiv
auftun und seine aktive Offenbarung so erwarten, daß sich
die Energie der göttlichen Liebe in das Herz herabsenke:
"Die Ursache der Liebe zu Gott ist Gott" - sagt Bernhard
von Clairvaux. Dagegen bedeutet, die sichtbare Kreatur lieben:
die empfangene göttliche Energie sich offenbaren lassen
durch den Empfangenden - nach außen und um den Empfangenden
herum, gleichwie sie in der Dreieinigen Gottheit selber wirkt
- sie auf den anderen, auf den nächsten übergehen lassen.
Für die eigene menschliche Anstrengung ist die Liebe
zum Nächsten absolut unmöglich. Das ist das Werk
der göttlichen Kraft. Indem wir lieben, lieben wir durch
Gott und in Gott.
Nur wer den Dreieinigen Gott erkannt hat, kann mit wahrer Liebe
lieben. Wenn ich Gott nicht erkannt habe, seines Wesens nicht
teilhaftig wurde, so, liebe ich nicht. Und umgekehrt: wenn ich
liebe, so wurde ich Gottes teilhaftig, so kenne ich ihn; wenn
ich aber nicht liebe, so bin ich seiner nicht teilhaftig und
kenne ihn nicht. Hier besteht eine direkte Abhängigkeit
des Wissens und der Liebe zur Kreatur. Als Mittelpunkt ihres
Ausgehens erscheint mein Verbleiben in Gott und Gottes in mir.
"Und an dem merken wir, daß wir ihn kennen, so wir
seine Gebote halten. Wer da sagt: ich kenne ihn - und hält
seine Gebote nicht; der ist ein Lügner, und in solchem ist
keine Wahrheit. Wer aber sein Wort hält, in solchem ist
wahrlich die Liebe Gottes vollkommen. Daran erkennen wir, daß
wir in ihm sind. Wer da sagt, daß er in ihm bleibt, der
soll auch wandeln, gleich wie er gewandelt hat." (1. Joh.
2, 3-6) Aber einstweilen ist dieses wechselseitige Ineinander-Verbleiben
Gottes und des Menschen noch ein Akt des freien Glaubens, keine
Tatsache der zwangsmäßig herrschenden Erfahrung.
Die Episteln Johannes sind fast ausschließlich dieser Abhängigkeit
gewidmet.
[...]
Keinen größeren Fehler kann man machen, als wenn man
die geistige Liebe des die Wahrheit Erkennenden mit altruistischen
Emotionen und dem Streben zum "Wohl der Menschheit"
identifiziert, welche sich im besten Falle auf das natürliche
Mitgefühl und auf abstrakte Ideen gründen. Für
die "Liebe" im letzteren - jüdischen -
Sinne beginnt und endet alles im empirischen Werk, der
Wert der Tat wird durch ihre sichtbare Wirkung bestimmt.
Aber für die geistige Liebe - im christlichen Sinne
- ist dieser Wert nur Flitter. Sogar die sittliche Tätigkeit
- wie die Philanthropie u.a.m., an sich genommen - ist nichtig.
Nicht die Äußerlichkeit, nicht die "Hülle"
besonderer Tätigkeiten sind wünschenswert, sondern
das segensreiche Leben, das sich in jede schöpferische Bewegung
der Persönlichkeit ergießt. Aber die "Hülle"
als "Hülle", die empirische Äußerlichkeit
als solche läßt stets eine Fälschung zu. Kein
Zeitalter darf leugnen, daß "falsche Apostel und trügliche
Arbeiter sich zu Christi Aposteln verstellen"; daß
sogar "der Satan sich zum Engel des Lichtes verstellt"
(2. Kor. 11, 13-14). Aber wenn alles Äußere
gefälscht werden kann, so sind selbst die höchste Tat
und das höchste Opfer - das Opfer des eigenen Lebens - an
sich nichtig. [...]
Die sogenannte "Liebe" außer Gott ist keine Liebe,
sondern nur eine natürliche, kosmische Erscheinung, die
der christlichen unbedingten Bewertung ebensowenig unterliegt
wie die physiologischen Funktionen des Magens. Es ist demnach
ohne weiteres klar, daß die Worte "Liebe", "lieben"
und die von ihnen abgeleiteten hier in ihrem christlichen
Sinne gebraucht werden und daß Familien-, Stammes- und
nationale Gewohnheiten, Egoismus, Eitelkeit, Herrschsucht, sinnliche
Begierde und andere "Abfälle menschlicher Gefühle",
die sich mit dem Worte Liebe bemänteln, außer Betracht
bleiben.
Die wahre Liebe ist ein Heraustreten aus dem Empirischen
und der Übergang in eine neue Wirklichkeit.
Die Liebe zum anderen ist die Zurückstrahlung des wahren
Wissens auf ihn; das Wissen aber ist die Offenbarung der Dreipersönlichen
Wahrheit selbst für das Herz, d.h. das Verbleiben der Liebe
Gottes zum Menschen in der Seele: "So wir uns untereinander
lieben, so bleibt Gott in uns, und seine Liebe ist völlig
in uns" (1. Joh. 4, 12); so sind wir zu Ihm nicht
nur in eine unpersönliche providenzial-kosmische Beziehung
getreten, sondern auch in eine persönliche väterlich-sohnliche
Gemeinschaft. Daher, "wenn unser Herz uns nicht verdammt"
- freilich muß das Herz selber, um urteilen zu können,
wenigstens einigermaßen von der Rinde der Missetat gereinigt
sein, die seine Oberfläche verdorben, hat, und fähig
zu einem Urteil über die Echtheit der Liebe - d.h. Wenn
wir mit einem geläuterten Bewußtsein uns dessen bewußt
sind, daß wir wirklich lieben, "nicht mit Worten und
mit der Zunge, sondern mit der Tat und mit der Wahrheit"
(1. Joh. 3, 18), daß wir wirklich eine neue Wesenheit bekommen
haben, wirklich in eine persönliche Gemeinschaft zu Gott
getreten sind - "dann haben wir eine Freudigkeit zu Gott"
(1. Joh. 3, 21), denn wer fleischlich ist, urteilt von
allem nach dem Fleische. Aber "wer seine Gebote hält,
der bleibt in ihm und er in ihm" (1. Joh. 3, 24); wenn
wir ihn lieben, so "bleiben wir in ihm und er in uns"
(1. Joh. 4, 13).
Wir sagen "Liebe". Ab er es fragt sich, worin
diese geistige Liebe konkret zum Ausdruck kommt? In der
Überwindung der Grenzen der Selbstheit, in dem Heraustreten
aus sich selber, wozu eine geistige Gemeinschaft miteinander
erforderlich ist. "So wir sagen, daß wir Gemeinschaft
mit ihm (mit Gott) haben, und wandeln in der Finsternis, so lügen
wir und tun nicht die Wahrheit. So wir aber im Licht wandeln,
wie er im Licht ist, so haben wir Gemeinschaft untereinander"
(1. Joh. 1, 6-7).
Die absolute Wahrheit wird in der Liebe erkannt. Aber das Wort
"Liebe" wird, wie schon erklärt wurde, nicht im
subjektiv-psychologischen, sondern im objektiv-metaphysischen
Sinne verstanden. Es ist nicht so, daß die Liebe zum Bruder
selbst den Inhalt der Wahrheit ausmachte, wie die Tolstojaner
und die ihnen ähnlichen religiösen Nihilisten behaupten;
es ist nicht so, als wäre durch diese Liebe zum Bruder alles
erschöpft. Nein, und abermals nein! Die Liebe zum Bruder
- das ist die Erscheinung für den anderen, der Übergang
auf den anderen, gleichsam das Einströmen in den
anderen jenes Eintretens in das göttliche Leben, welches
dem mit Gott in Gemeinschaft tretenden Subjekt selbst als das
Wissen von der Wahrheit bewußt wird. Die metaphysische
Natur der Liebe liegt in der überlogischen Überwindung
der nackten Selbst-Identität "Ich = Ich" und in
dem Heraustreten aus sich selber; das aber findet statt
bei dem Ausströmen der göttlichen Kraft, welche die
Bande der menschlichen endlichen Selbstheit zerreißt, auf
den anderen, bei dem Einströmen in den anderen. Kraft dieses
Heraustretens wird das Ich im anderen, im Nicht-Ich, zu diesem
Nicht-Ich, wird wesenseins mit dem Bruder - wesenseins (dmoousioz) nicht nur wesensgleich
(dmoiousioz). Eine solche Wesensgleichheit
macht den Moralismus aus, d.h. den vergeblichen innerlich-wahnwitzigen
Versuch einer menschlichen, außergöttlichen Liebe.
Indem es sich über das logische, inhaltlos-leere Identitätsgesetz
erhebt und mit dem geliebten Bruder identifiziert, macht sich
das Ich eben durch diese freie Handlung zum Nicht-Ich, oder,
um die Sprache der heiligen Gesänge zureden, es "verwüstet",
"erschöpft", "entäußert"
und "erniedrigt sich" (vgl. Phil. 2, 7),
d.h. es beraubt sich der ihm nach dem Gesetz des ontologischen
Egoismus oder der Identität notwendig gegebenen und ihm
zugehörigen Attribute und natürlichen Gesetze der inneren
Tätigkeit; wegen der Norm eines fremden Seins tritt das
Ich aus seinen Schranken heraus, aus der Norm seines eigenen
Seins und ordnet sich freiwillig einer neuen Gestalt unter, um
dadurch sein Ich in das Ich eines anderen Wesens, welches für
es als Nicht-Ich erscheint, einzuschließen. Auf diese Weise
wird das unpersönliche Nicht-Ich zur Person, zu einem anderen
Ich, d.h. zum Du. Aber eben in dieser "Verarmung"
und "Erschöpfung" des Ich, in dieser "Verwüstung"
oder "Kenosis" (cenwsiz) seiner selbst erfolgt die rückläufige
Wiederherstellung des Ich in der ihm eigentümlichen Norm
des Seins, wobei diese Norm schon nicht mehr einfach als gegeben,
sondern auch als gerechtfertigt erscheint, d.h. nicht nur als
am gegebenen Ort und im gegebenen Moment einfach vorhanden, sondern
im Besitz einer universellen und ewigen Bedeutung. In dem anderen
findet die Gestalt meines Daseins durch ihre Erniedrigung ihre
"Erlösung" von der Herrschaft der sündhaften
Selbstbejahung, wird von der Sünde des gesonderten Daseins
befreit, von dem die griechischen Denker gesprochen haben, und
im dritten wird sie als erlöst "verklärt",
d.h. in ihrem unvergänglichen Wert befestigt. Dagegen wäre
das Ich ohne Erniedrigung nur potentia, nicht actu im Besitz
seiner eigenen Norm. Die Liebe ist das "Ja", welches
das Ich zu sich selber sagt, der Haß aber ist das "Nein"
zu sich selbst. Unübersetzbar, aber ausdrucksvoll prägt
R. Hamerling diese Idee in der Formel aus: die Liebe ist "das
lebhafte Sich-selbst-bejahen des Seins". Die Liebe verbindet
den Wert mit der Gegebenheit, führt in die entgleitende
Gegebenheit das Sollen, die Pflicht ein; die Pflicht aber
ist eben das, was der Gegebenheit die Dauer gibt; ohne die
Pflicht verfließt (xei)
sie, mit der Pflicht aber verbleibt (menei) sie. Die Liebe verbindet zwei Welten:
"Darin eben ist das Große, daß hier ein Geheimnis
ist - daß die vorübergehende irdische Gestalt und
die ewige Wahrheit sich hier miteinander berühren."
Die Liebe des Liebenden gibt, indem sie sein Ich in das Ich des
Geliebten, in das Du überträgt, dadurch dem geliebten
Du die Kraft, das Ich des Liebenden in Gott zu erkennen und es
in Gott zu lieben. Der Geliebte wird selbst zum Liebenden, erhebt
sich selbst über das Gesetz der Identität und identifiziert
sich in Gott mit dem Objekt seiner Liebe. Er überträgt
sein Ich in das Ich des ersteren durch Vermittlung eines dritten
usw. Aber diese gegenseitigen Selbst-Übergaben, Selbst-Erschöpfungen,
Selbst-Erniedrigungen der Liebenden stellen sich nur für
den Verstand als eine Reihe dar, die ins Unendliche geht. Sich
über die Schranken seiner Natur erhebend, tritt das Ich
aus der zeiträumlichen Beschränkung heraus und in die
Ewigkeit hinein. Dort ist der ganze Prozeß der Wechselbeziehung
der Liebenden ein einziger Akt, in dem die unendliche
Reihe, die unendliche Serie der einzelnen Momente der Liebe synthetisiert
wird. Dieser eine ewige und unendliche Akt ist die Wesens-Einheit
der in Gott Liebenden, wobei das Ich als ein und dasselbe
mit dem anderen Ich, und zugleich als von diesem verschieden
erscheint. Jedes Ich ist ein Nicht-Ich, d.h. ein Du kraft des
Lossagens von sich zugunsten eines anderen und - ein Ich kraft
des Lossagens des anderen ,Ich von sich zugunsten des ersteren.
Anstatt der vereinzelten, zersplitterten, selbst beharrenden
Iche ergibt sich eine Zweiheit - ein zweieiniges Wesen,
welches das Prinzip seiner Einheit in Gott hat: "finis amoris,
ut duo unum fiant (das Ziel der Liebe ist, daß zwei eines
werden)". Dabei sieht aber jedes Ich, wie' im Spiegel, im
göttlichen Ebenbild des anderen Ich sein eigenes
göttliches Ebenbild.
Diese Zweiheit hat zu ihrem Wesen die Liebe und als konkret
inkarnierte Liebe ist sie schön für die gegenständliche
Anschauung. Wenn dem ersten Ich die Wahrheit als Ausgangspunkt
der Wesenseinheit dient, und dem zweiten, dem Du - die Liebe,
so wird ,dem dritten Ich, dem Er, die Schönheit zu einem
solchen Ausgangspunkt werden. In ihm erweckt die Schönheit
Liebe und die Liebe gibt das Wissen der Wahrheit. Die Schönheit
der Zweiheit genießend, liebt er sie und dadurch - erkennt
er, indem er jedes Ich in seinem hypostatischen Ur-Sein behauptet.
Durch diese seine Behauptung stellt das anschauende Ich die Selbst-Identität
der angeschauten Personen wieder her: des ersten Ich, als des
liebenden und geliebten Ich; des zweiten Ich, als des geliebten
und liebenden - als des Du. Eben dadurch, durch seine Hingabe
an die Zweiheit, durch das Zerreißen der Hülle seiner
Selbst-Eingeschlossenheit, wird das dritte Ich ihrer Wesenseinheit
in Gott teilhaftig, und die Zweiheit wird zur Dreiheit. Aber
Er, dieses dritte Ich, als die Zweiheit gegenständlich anschauend,
wird selbst zum Anfang einer neuen Dreiheit. Durch die dritten
Iche wachsen alle Dreiheiten untereinander in ein wesenseiniges
Ganzes zusammen - in die Kirche oder den Leib Christi, als die
gegenständliche Offenbarung der Hypostasen der göttlichen
Liebe. Jedes dritte Ich kann das erste in der zweiten Dreiheit,
und das zweite in der dritten sein, so daß diese Kette
der Liebe, mit der absoluten Dreieinigkeit beginnend - die, wie
der Magnet eine Franse von Eisenspänen, alles zusammenhält
-, sich iminer weiter und weiter erstreckt. Die Liebe ist nach
dem hl. Augustin ein "gewisses Leben, das verbindet und
zuverbinden strebt (vita quaedam, copulans vel copulare appetens)".
Einen ähnlichen Gedanken spricht auch Johannes Scotus Erigena
aus. "Die Liebe" - sagt er - "ist ein Band, durch
das alle Dinge vermöge einer unaussprechlichen Freundschaft
und einer unzerreißbaren Einheit verbunden werden."
Das eben ist das Wehen des Heiligen Geistes, der durch die Freude
des Schauens tröstet, allgegenwartig ist ,und alles mit
der heiligen Gabe erfüllt, Leben spendet, und durch sein
Einwohnen die Welt von allem Übel reinigt. Aber für
das Bewußtsein offenbart sich seine lebendig-schöpferische
Tätigkeit nur bei der höchsten Erleuchtung der Geistigkeit.
[...]
[Übersetzung
Nikolai von Bubnoff]
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