pavel florenskij

der pfeiler und die

grundfeste der wahrheit

 

 

 

 

dritter brief:

die trinität

"Die wesenseine und unteilbare Dreieinigkeit, die dreipersönliche und gleichewige Einheit" - das ist das einzige Schema, welches die epoch aufzulösen verspricht, wenn man die Frage der Skepsis überhaupt beantworten kann. Nur sie wäre, der Pyrrhonismus außerstande zu zerschmelzen, wenn er sie in der Erfahrung verwirklicht fände. Wenn es überhaupt eine Wahrheit geben kann, so ist dies der Weg zu ihr, und zwar der einzige. Ob er aber tatsächlich gangbar, nicht nur eine Forderung der Vernunft ist - wenn auch für die Vernunft notwendig und unvermeidlich -, das ist nicht klar. Die für die Vernunft einzig mögliche Idee der Wahrheit ist gefunden; ob wir aber nicht Gefahr laufen, nur eine Idee zu behalten - das ist die Frage. Ohne Zweifel ist die Wahrheit das, was wir von ihr gesagt haben; ob sie aber überhaupt vorhanden ist - das wissen wir nicht. Diese Frage soll nun erörtert werden.
[...]
Wenn das Identitätsgesetz nicht nur als taube Wurzel des Verstandes gegeben sein, wenn man sich von der Empirie des Verstandes, welche nicht besser ist als die Empirie der Sinnlichkeit, freimachen soll, müßte man über die Grenzen des Verstandes hinausgehen, in jenes Gebiet eintreten, wo der Verstand mit allen seinen Normen verwurzelt ist. Das bedeutet, daß man in der Erfahrung eine Synthese des Beziehungslosen und der Beziehung, des Ursprünglichen und Abgeleiteten, der Ruhe und der Bewegung, der Einheit und Unendlichkeit usw. verwirklichen müßte. Der Verstand läßt diese Verbindung nicht zu. Dort, wo jedes A A und nur A ist, ist die gesuchte Synthese entschieden unmöglich. Wenn sie überhaupt möglich ist, so doch nur jenseits der Grenzen des Verstandes, wobei die erhaltene Synthese mit Rücksicht auf den Verstand als ideale Grenze des Verstandes zu denken ist - als eine für ihn jenseitige transzendente Bildung -, als regulatives Prinzip. Aber bei dem Versuch, diese Synthese zu erfassen, kann der Verstand seiner Struktur nach ihre Totalität nicht in sich aufnehmen und zerlegt sie unvermeidlich in unvereinbare, einander entgegengesetzte Begriffe. Die coincidentia oppositorum zerfällt unaufhaltsam und wird in sich ausschließende Opposita zerstreut. Wenn es sich aber so verhält, so ist für den Verstand entweder die Beseitigung eines der Begriffe zugunsten eines andern oder ihre rhythmische Aufeinanderfolge unvermeidlich, ein Kampf, der dein Kampf verschiedenfarbiger Gesichtsfelder im Stereoskop ähnlich ist. Das eine oder das andere, aber keine Synthese! Beiläufig bemerkt, entspricht der Sieg eines Begriffes über den andern dieser oder jener Häresie, die Aufeinanderfolge der Gesichtsfelder aber der verstandesmäßigen "Orthodoxie" der Lehrbücher, welche in Wahrheit eine Pseudo-Orthodoxie ist und ein Gebinde unvereinbarer Häresien darstellt.
Auf der Suche nach der Gewißheit sind wir auf eine Verbindung von Begriffen gestoßen, die für den Verstand einen Sinn weder hat, noch auch haben kann. "Die Trinität in der Einheit und die Einheit in der Trinität" bedeutet für den Verstand gar nichts, wenn man diesen Ausdruck in seinem wahren, nicht dem Verstand angepaßten Inhalt nimmt; das ist in gewisser Weise
÷2. Nichtsdestoweniger führt uns die vorhandene Norm des Verstandes, d.h. das Identitätsgesetz und der Satz vom zureichenden Grunde zu einer solchen Verbindung, fordert, daß sie einen Sinn habe, daß sie Ausgangspunkt des gesamten Wissens sei. Indem er sich selbst verurteilt, fordert der Verstand die Dreiheit in der Einheit, kann sie aber nicht erfassen. Um aber in der Erfahrung diese Forderung, dieses Postulat der Vernunft zu erleben (wenn es überhaupt in der Erfahrung erlebbar ist), muß der Verstand es denken, muß er sich eine neue Norm setzen. Für letztere ist es aber notwendig, den Verstand zu überwinden - das einzige, was wir besitzen, ob es gleich nicht gerechtfertigt ist: die göttliche Weisheit und die menschliche Weisheit sind zusammengeprallt. Daher wäre die Vernunft von sich aus niemals zur Möglichkeit einer solchen Verbindung gelangt. Nur die Autorität "dessen, der im Besitze der Macht ist", kann der Stützpunkt für dieses Streben sein. Im Vertrauen und im Glauben, daß in diesem Streben die Wahrheit sei, muß die Vernunft sich von ihrer Beschränkung in den Grenzen des Verstandes loslösen, sich von der Geschlossenheit der verstandesmäßigen Konstruktion lossagen und sich einer neuen Norm zuwenden - eine "neue" Vernunft werden. Hier ist eine freie Tat erforderlich. Sie muß frei sein, denn die Vernunft kann den Versuch machen, sich zum Besseren zu erheben, oder kann ihn unterlassen, indem sie bei dem Endlichen, Bedingten und "Guten" bleibt, das sie bereits besitzt. Sie muß eine Tat sein, denn es bedarf einer Anstrengung, einer Anspannung, einer Selbstverleugnung, eines Abwerfens des "Alten Adams", denn gleichzeitig zieht alles Gegebene - "Natürliche", Endliche, Bekannte, Bedingte - zu sich hin. Es bedarf der Selbstüberwindung, es bedarf des Glaubens. Wenn "das unerschrockene Herz der untrüglichen Wahrheit - alhueihz enpeiueoz atoemez htoo", nach dem sich Parmenides. gesehnt hatte, überhaupt erreichbar ist, so kann der Weg zu ihm die Glaubenstat von Gethsemane nicht umgehen. Die Arianer und die Orthodoxen - das ist ein typischer Fall, in dem zwei Standpunkte einander gegenüberstanden. "Während die Orthodoxen" - so schreibt ein Forscher - "die Frage stellten, ob es notwendig sei, in Gott drei wirkliche Personen, drei unzertrennliche Einheiten der göttlichen Wesenheit zu denken, und diese Frage mit einer kategorischen Bejahung beantworteten, fragten die Arianer, ob man die Dreiheit der göttlichen Personen bei der unzertrennlichen Einheit ihrer Wesenheit denken könne, und verneinten diese Frage." In der Glaubenstat suchten die Orthodoxen das Gesollte, Höhere; die Arianer dagegen, im Bestreben, sich zu sichern, fragten berechnend: "Könnte nicht die Wahrheit ein Opfer von uns fordern?" Und indem sie den Garten von Gethsemane erblickten, wichen sie zurück. Diese und jene trafen eine freie Wahl, aber die Arianer benutzten ihre Freiheit sich selbst zur Sklaverei, die Orthodoxen dagegen zur Befreiung von der Gefangenschaft der fleischlichen Beschränkung. "Ihr erkühnt Euch, das Unmögliche zu lehren und zu denken", schrieb Eunomius an Basilius den Großen und Gregor von Nyssa über das christologische Dogma. Das ist der Ruf der Fleischlichkeit, der Ruf des Verstandes, welcher über die Elemente der Welt dahinschreitet und egoistisch für seine Unversehrtheit zittert, des Verstandes, der, ungeachtet seiner völligen inneren Zersetzung mit sich selbst zufrieden ist, der in seiner grenzenlosen Angst vor dem kleinsten Schmerz es wagt, die Wahrheit selbst an sich, an seine blinden und sinnlosen Normen anzupassen. Aber gegen die tierische Angst für sich selbst gibt es nur ein einziges Mittel - die Geißel. "Der die Macht hat", hat sie über dem zersetzten Verstande erhoben: "Wahrlich, wahrlich, ich sage Euch: es sei denn, daß das Weizenkorn in die Erde falle und sterbe, so bleibt's allein; wo es aber erstirbt, so bringt es viele Früchte. Wer sein Leben lieb hat, der wird's verlieren; und wer sein Leben auf dieser Welt hasset, der wird's erhalten zum ewigen Leben." (Joh. 12; 24, 25) Wer seine Seele nicht verderben will, der soll verbleiben in der Gehenna, in dem unlöschbaren Feuer der epoch, "wo ihr Wurm nicht stirbt und ihr Feuer nicht erlöscht".
Der Ausgangspunkt ist also ein völliges Vertrauen und ein völliger Sieg des Willens über den Hang zur Fleischlichkeit, über die Schwankungen, die uns von der Erhebung zurückhalten, von der Fesselung des Verstandes im Gehorsam gegen den Glauben. Blutenden Herzens will ich inbrünstig sprechen: "Credo, quia absurdum est. Nichts, nichts will ich von dein Meinen - nicht einmal den Verstand will ich. Du, nur Du allein. Dic animae meae: salus tua Ego sum! Nicht mein, aber Dein Wille geschehe. Dreieinige Einheit, erbarme Dich meiner!"
Dieses notwendige Stadium der persönlichen Entwicklung wird in der Geschichte der Kirche durch das zweite Jahrhundert typisch dargestellt und verbindet sich unwillkürlich mit dem Namen des Tertullian, der mit seiner ganzen flammenden Persönlichkeit die erste Stufe des Glaubens in Reinheit ausdrückte: Credo, quia absurdum. Ich glaube trotz der Klagen des Verstandes, ich glaube eben deshalb, weil ich in der Feindseligkeit des Verstandes gegen den Glauben das Pfand von etwas Neuem, Unerhörtem und Höherem erblicke. Ich werde nicht zu den Tiefen des Verstandes herabsteigen, wie er mich auch immer schrecken sollte. Ich habe schon erfahren, daß ich, wenn ich bei dem Verstande bleibe, in der
epoch verderbe, und will jetzt unverständig sein. Auf seine schmeichlerischen Versicherungen werde ich rufen: Du lügst, das habe ich schon tausendmal gehört. Und dann mag die mitleidlose Geißel pfeifen.
Nachdem ich mich so auf die neue Stufe erhoben und mich der Unmöglichkeit, auf die verstandesmäßige Ebene hinabzugleiten, versichert habe, spreche ich zu mir: "Jetzt glaube ich und hoffe das zu begreifen, woran ich glaube. Jetzt werde ich das Unendliche und Ewige nicht in ein Endliches und Zeitliches verwandeln, die höhere Einheit ,wird bei mir nicht in unvereinbare Momente zerfallen. Jetzt sehe ich, daß mein Glaube ein Quell höheren Begreifens ist, und daß in ihm der Verstand seine Tiefe erhält." Und indem ich von der erlebten Mühsal ausruhe, wiederhole ich gelassen nach Anselm von Canterbury: "Credo ut intelligam. Zuerst schien es mir, daß ich etwas wüßte; nach dem Umschwung begann ich zu glauben. Jetzt aber weiß ich, weil ich glaube."
Neun Jahrhunderte hat die Menschheit gebraucht, um zu diesem Zustand zu gelangen. Und, indem ich das sage, gehe ich zur dritten Stufe über. Darunter verstehe ich meinen eigenen Glauben. Ich sehe, daß er eine Anbetung des "Bekannten Gottes" ist, daß ich nicht nur glaube, sondern auch weiß. Die Grenzen des Wissens und des Glaubens laufen ineinander. Die verstandesmäßigen Scheidewände schmelzen fort und zerfließen; der ganze Verstand wandelt sich in eine neue Wesenheit um. Und freudig rufe ich aus: "Intelligo, ut credam! Gott sei Dank für alles. Wir sehen jetzt durch einen Spiegel in einem dunkeln Wort; dann aber von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich es stückweise; dann aber werde ich es erkennen, gleichwie ich erkannt bin." (1. Kor. 13, 12) Die Menschheit hat abermals neun Jahrhunderte gebraucht, um sich auf diese Stufe zu erheben.
Dieses sind die drei Stadien des Glaubens, sowohl in der Phylogenese als auch in der Ontogenese. Doch bin ich, indem ich sie beschrieb, vorausgeeilt. Wir müssen uns zurückwenden und aufdecken, worin denn das letzte Stadium des Glaubens an die hl. Trinität besteht - anders ausgedrückt, wie die Wahrheit des Dogmas in Wirklichkeit erlebt, wie die
epoch aufgelöst wird.
Durch die Glaubenstat ist die verstandesmäßige "Ungereimtheit" des Dogmas überwunden, besiegt und vernichtet. Man wurde sich dessen bewußt, daß in ihm der Quell des Wissens sei. Aber als Endziel erscheint seine Gegebenheit. Letztere hat in den Bedingungen des Erdenlebens zwei Stufen: das symbolische Wissen und das unmittelbare, wiewohl nicht allumfassende Wissen.
Die Glaubenstat liegt darin, von der gegebenen assertorischen Wahrheit der Welt zu der apodiktischen - aber noch nicht gegebenen - WAHRHEIT des Dogmas überzugehen, das zweifelhafte, wiewohl gegenwärtige "Hier" dem sicheren, aber noch nicht gegenwärtigen "Dort" vorzuziehen.
Das Identitätsgesetz und seine höchste Form sind von uns in ihrer Möglichkeit begriffen. Die Forderung, die Wirklichkeit dieser Möglichkeit zu erfassen, bedeutet die Notwendigkeit, aus der Sphäre der Begriffe in die Sphäre der lebendigen Erfahrung herauszutreten. Die vernunftmäßige Intuition wäre das letzte, alles auflösende Glied in der Kette der Schlüsse. Ohne sie bewegen wir uns in der Sphäre der Postulate und Voraussetzungen der gewissen Erkenntnis, die zwar unvermeidlich sind, aber von denen wir nicht wissen, ob sie erfüllt werden. Die ganze gen Himmel geschleuderte Kette blieb für einen Augenblick in der Luft hängen, erstarrte für einen Augenblick in aufrechter Lage. Wenn sie aber "dort" nicht haften bleibt, dann wird sie mit unheilvollem Klirren und Krachen auf unser Haupt zurückfallen. Oder gibt es vielleicht eine Wahrheit überhaupt nicht? Dann muß sich die ganze Wirklichkeit in einen absolut sinnlosen und wahnsinnigen Fiebertraum verwandeln; wir aber werden gezwungen, von der vernünftigen, aber qualvollen epoch zu der wahnsinnigen und bis zum Schluß qualvollen Agonie überzugehen, indem wir ohne die Wahrheit ewig ersticken und sterben.
Wie dem auch sei: zwischen dem dreieinigen christlichen Gott und dem Sterben im Wahnsinn tertium non datur. Man merke wohl: ich übertreibe nicht, sondern drücke mich sehr genau aus; mir fehlen sogar die Worte, um mich noch schärfer auszudrücken. Zwischen dem ewigen Leben in dem Schoße der Trinität und dem zweiten ewigen Tode ist auch kein Haarbreit Zwischenraum. Entweder das eine oder das andere. In der Tat: der Verstand in seinen konstitutiven logischen Normen ist entweder durch und durch unsinnig, wahnsinnig bis in seine feinste Struktur hinein, aus unbewiesenen und daher völlig zufälligen Elementen zusammengesetzt, oder aber, er hat das Überlogische zu seiner Grundlage. Eines von beiden: entweder muß man die prinzipielle Zufälligkeit der logischen Gesetze annehmen, oder aber die Anerkennung der überlogischen Grundlage dieser Normen ist unvermeidlich - einer Grundlage, welche vom Standpunkt des Verstandes selbst postulativ notwendig ist, aber eben deshalb für den Verstand ein antinomisches Gepräge hat. Das eine wie das andere führt über die Grenzen des Verstandes hinaus. Aber jenes zersetzt den Verstand, indem es eine ewig wahnsinnige Agonie in das Bewußtsein hineinträgt, und dieses stärkt ihn durch die Tat der Selbstüberwindung - durch ein Kreuz, welches für den Verstand ein widersinniges Losreißen von sich selbst bedeutet. Der Glaube, durch den wir gerettet werden, ist Anfang und Ende des Kreuzes und des Gekreuzigtwerdens mit Christus. Aber der Glaube - was man einen "vernünftigen" Glauben nennt - d.h. "mit Beweisen von der Vernunft", der Glaube nach der Tolstoischen Formel: "Ich will so begreifen, daß jede unerklärliche These sich mir als Notwendigkeit der Vernunft darstelle" - ein solcher Glaube ist ein schwieliger, böser und harter Auswuchs am Herzen, der ihm den Weg zu Gott versperrt, eine Empörung wider Gott, eine ungeheuerliche Ausgeburt des menschlichen Egoismus, der auch Gott sich unterwerfen möchte. Es gibt viele Arten der Gottlosigkeit, aber die schlimmste darunter ist der sogenannte vernünftige, oder genauer gesagt, verstandesmäßige Glaube. Die schlimmste - denn abgesehen von der Nichtanerkennung des Objekts des Glaubens ("der unsichtbaren Dinge") enthält sie in sich noch außerdem eine Heuchelei; anerkennt Gott, um sein Wesen - die "Unsichtbarkeit", d.h. Unverstandesmäßigkeit zu verwerfen. Was ist der vernünftige Glaube, frage ich mich? Ich antworte: "Der vernünftige Glaube ist eine Abscheulichkeit und ein Gestank vor Gott." Du kannst nicht glauben, solange du dich nicht von dir selbst und deinem Gesetz lossagst. Eben der "vernünftige Glaube" will sich nicht von seiner Selbstheit lossagen und versichert überdies, daß er die Wahrheit kenne. Aber wenn er sich von sich selbst nicht lossagt, so kann er nur sich selbst in sich selbst haben. Die Wahrheit wird durch sich erkannt, nicht anders. Um die Wahrheit zu erkennen, muß man sie haben, dazu muß man aber aufhören, nur man selbst zu sein und der Wahrheit teilhaft werden. Der "vernünftige Glaube" ist der Beginn teuflischen Hochmuts, der Wunsch, nicht Gott in sich aufzunehmen, sondern sich für Gott auszugeben - Usurpation und Eigenwille. Die Ablehnung des Monismus im Denken zugunsten Gottes ist der Anfang des Glaubens. Die monistische Stetigkeit - das ist das Banner des aufrührerischen Verstandes der Kreatur, die sich von ihrem Anfang und von ihrer Wurzel losreißt und in den Staub der Selbstbejahung und Selbstvernichtung zerfällt. Die dualistische Diskontinuität - das ist das Banner des Verstandes, der sieh zugunsten seines Prinzips vernichtet und in der Einigung mit Ihm seine Erneuerung und Stärke erhält. In der Entgegensetzung dieser beiden Losungen ist enthalten die Entgegensetzung der Kreatur, die den frevelhaften Wunsch hat, sich an Stelle des Schöpfers zu setzen, um von dort unvermeidlich in die Agonie der ewigen Vernichtung herabzustürzen und der Kreatur, die mit Demut von der Wahrheit die ewige Vergottung empfängt: "Ich bin des Herrn Magd, mir geschehe nach Deinem Wort." Aber - so ist es nur, wenn die Wahrheit besteht. Letztere Bedingung steht wie eine Schranke an der Brücke bei dem Übergang in die Sphäre der Wahrheit. Zwischen der schon durchschrittenen Sphäre des Wissens in Begriffen, eines Wissens um die Wahrheit (welches postulativ und daher voraussetzungsvoll ist) und der vorausgesetzten, geforderten Sphäre des Wissens in der Intuition, des Wissens der Wahrheit (eines wesentlichen Wissens, welches in sich seine Begründung enthält und daher absolut ist) liegt ein Abgrund, den man auf keinen Umwegen umgehen, den man mit keinem Kraftaufwand überspringen kann. Man muß eine ganz neue Welt betreten, von der wir keine Ahnung haben. Wir wissen nicht einmal, ob diese neue Welt in Wirklichkeit besteht - wir wissen es nicht, denn die geistigen Güter, welche wir suchen, liegen außerhalb der Sphäre der fleischlichen Erkenntnis; sie sind das, "was kein Auge gesehen hat und kein Ohr gehört hat und in keines Menschen Herz gekommen ist" (1. Kor. 2, 9, vgl. Jes. 64, 4). Aber als Brücke, welche irgendwohin führt - vielleicht an jenen vorausgesetzten Rand des Abgrundes, zum Eden der unverwelkbaren geistigen Freuden, vielleicht aber auch nirgendwohin, erscheint der Glaube. Wir müssen entweder in der Agonie an unserem Rande des Abgrundes sterben, oder aufs Geratewohl vorwärts schreiten und die "neue Erde" suchen, auf der "die Wahrheit wohnt" (2. Petr. 3, 13). Wir sind frei in der Wahl, aber wir müssen uns entweder zum einen oder zum anderen entschließen. Entweder das Suchen nach der Trinität, oder das Sterben im Wahnsinn. Wähle, du Wurm und nichtiges Wesen: tertium non datur.
[...]

[Übersetzung Nikolai von Bubnoff]

 

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