antje kaiserandreas koziol |
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Inhalt Antje Kaiser ASPEKTE VON NEUER MUSIK
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Antje Kaiser ASPEKTE VON NEUER MUSIK
Das ist richtisch,
sagte die Dame... Es ist schwer,
Tendenzen und Wesentliches eindeutig auszumachen; schon innerhalb
einer Komponisten/Musikergeneration, schon erst recht bei dem
komplizierten Geflecht, welches die Intentionen und Tatsächlichkeiten
Jüngerer und Älterer, noch im Aufbruch Befindlicher
oder schon Etablierter (auf welchem Sektor auch immer) bilden.
Schon gar nicht gelingt sowas aber ohne Kontext, ohne den Hintergrund,
der urplötzlich Vordergrund zu werden verspricht. Es scheint
unmöglich, den Bereich Neuer Musik aus seiner gewissen Isolation
und gesellschaftlichen Peripherie in ein Licht zu ziehen, was
ihm Reflexion und Interesse, sprich der Neuen Musik Wirksamkeit
zuwachsen läßt, auch außerhalb der sogenannten
"Insider". Obwohl ich überzeugt bin (es gibt Zum ersten - die Neue Musik schlechthin gibt es gar nicht. Wenn sie sich keiner Massenrezeption erfreut, Konzerte in der Regel zu schwach oder nur von immer den gleichen Interessenten besucht sind, so wird meist vergessen, daß es auch in der Neuen Musik schlechte und gute Musik gibt, beide aber gleichermaßen aktive Rezeption erstmal voraussetzen. Hier ist schon die Schwelle: die ständige Verfügbarkeit klassischer Musik sowie jeden anderen Genres über die Medien hat den Hörer von der life-Sphäre moderner Musik entfernt (wobei der Bereich der "seriösen", neukomponierten Musik am schlechtesten wegkommt). Dahinter steht die Ausbildung eines ganz neuen, komplizierten Netzes von Kommunikationsweisen und -ansprüchen im 20. Jahrhundert. Verständnis neuer künstlerischer Sprache setzt eine gewisse Regelmäßigkeit der Auseinandersetzung voraus, eine gewisse Einübung.1 Zur modernen komponierten Musik - es liegt auf der Hand, daß sich Hörerfahrung und Bereitschaft zur Begegnung mit avanciertem Materialdenken nur ungenügend ausbilden, wenn die Strukturen zu schwach entwickelt sind (oder stagnieren), die eben diese life-Sphäre geistig und materiell ausbilden. Musik und Musiktheater sind extrem stärker als Literatur und Malerei auf die institutionelle Vermittlung angewiesen. Die Institution ist nicht selten strukturkonstituierend für sie, im rein künstlerischen Material. Weder der Mechanismus der Lesung noch der der Ausstellung noch der der mündlichen Tradierung taugen für komponierte Moderne (wäre mal zu überlegen, warum eigentlich nicht). Musik ist entweder auf dem Papier - wo sie außer dem Musikwissenschaftler wohl keiner liest; wohl kann sie aber in der Form, unaufgeführt, ein utopisches und trotzdem revolutionäres Potential darstellen, und nicht von ungefähr hat sich mancher Komponist seit der klassischen Moderne bis heute auf diesen äußersten Standpunkt zurückgedrängt gesehen, weil die Noten 'unzeitgemäß' unrealisierbar blieben (oder zumindest auf größere Schwierigkeiten stießen als die an die herrschenden Strukturen anpassungsfähigeren Kompositionen anderer - klassisches Gegensatzpaar Schönberg/Hindemith). Oder, um zur aufgeführten Musik zu werden, bedarf die Note des Interpreten, der organisatorischen Realisierung, des life-Raums. Ich greife nun nur diesen Punkt heraus, den für das Wesen dieses Kunstbereiches doch wichtigsten: daß es für die Moderne life hier weder hinreichend Interpreten, noch Aufführungsorte, auch mal experimentellerer - d.h. über den (inzwischen vielleicht auch tödlichen) Konzertsaal hinausgehenden - Art, noch genügend flexible Organisationsformen, noch hinreichend Gelder gibt. Ein anderes Blatt wäre bereits wieder, daß Neue Musik sowohl in der DDR als auch z.B. in der BRD relativ gering auf Platte, geschweige Compact Disc erscheint, hier wie dort aus schlichten geschäftlichen Gründen. Und daß umgekehrt Neue Musik im Rundfunkt bis jetzt noch am ehesten Verbreitung findet, aufgrund einiger engagierter Leute dort und zugleich aufgrund der Anonymität des Mediums. Nur gibts dort leicht wieder die Kehrseite, daß (wie im renommierten Konzertsaal) Quantität vor Qualität tritt, und ein Feigenblatt bildet - also: Neue Musik ist präsent, "Bestandteil unserer Kultur", "Breite und Vielfalt", nur ist die Frage, ob das Gesendete unbedingt das Verbreitungswürdigste ist. Doch führt die Beleuchtung der Medien hier zu weit infolge der nicht geringen Vermittlungsschichten, denen diese schwerfälligen Apparate unterliegen (wo z.B. Gelder und Rechtsfragen und Fragen des fachkundigen Engagements nur teilweise eine Rolle spielen), die auseinanderzuhalten mühsam ist und mich im Moment auch langweilen würde. Nun weiter zum Sinn des Komponierens und zur life-Aufführung Neuer Musik. Es hat sich, verschärft in den letzten Jahren, eine extrem unterbelichtete Situation hergestellt. Viel zu wenig Interpreten und Interpreten-Nachwuchs sind vorhanden, die bereit sind, sich - jenseits materieller und prestigeartiger Beweggründe - für Neu-Komponiertes, Unerprobtes einzusetzen. Zum einen liegt das darin begründet, daß in der Ausbildung an den Musikhochschulen die Moderne nach wie vor ein Schattendasein führt, von Ausnahmen wie zum Beispiel der Unterricht des Komponisten Jörg Herchet in Dresden, auch der Initiativen des Pianisten und Komponisten Steffen Schleiermacher in Leipzig oder Studenteninitiativen in Berlin abgesehen. Es fehlt also der ideelle Boden, als Voraussetzung für die Auseinandersetzung mit der Sache um der Sache selbst willen. Denn, das ist der zweite Punkt, der zwar mit der Begrenzung der jüngeren Musikgeschichte mit Richard Strauss (zugespitzt gesagt) in der Ausbildung der Hochschulen und sonstigen Musikinstitute zusammenhängt, aber immer gravierender und verselbständigter erscheint: die kulturpolitische Umorientierung, Erweiterung des Musiklebens auf stärkeren Austausch, stärkere Öffnung hinsichtlich Gastspielen in den 80er Jahren hat, da sie gleichzeitig vorwiegend auf vordergründige ,presentazione' und Geld orientiert, auch den Negativerfolg. Interpreten, Komponisten, vor allem Jüngere, verfallen in verflachte und außerkünstlerische Motivationen. Sie wollen sich möglichst schnell künstlerisch profilieren, reisen, den begehrten Stellenwert im Musikbetrieb zu erlangen (alles legitim), aber am wenigsten verspricht ihnen dieses sowas Unattraktives wie Neue Musik, sofern sie experimentelles Gebiet betritt und wirklich Neues, auch im Verhalten zu den Noten und zum Rezeptionskontext fordert. Da ist auch das kurzatmige und zugleich langlebige Phänomen, daß sich ein junger Interpret und Komponist durch Bekannt- und Aufgeführtwerden in westlichen Gefilden erst rückwirkend tatsächlich im Inland etablieren kann. Diese moralischen
Punkte entstammen aber praktischen Verhältnissen, z.B. daß
man für Uraufführungen von Stücken anspruchsvollerer
Struktur viel Probezeit braucht, sowohl hochspezialisierte künstlerische
Technik als auch einen angemessenen geschichtlich-sozialen Horizont
sich erarbeiten und anwenden können muß; beides läuft
der Schnellebigkeit des Musikbetriebes und zugleich der Unflexibilität
der DDR-eigenen musikpolitischen Strukturen Den eklatantesten
Einschnitt, - grelle Beleuchtung bildet für mich in der
neuentstandenen Situation in den 80er Jahren hinsichtlich des
Innenlebens und der Weiterentwicklung der Neuen Musik, hinsichtlich
neuer Impulse, Lehrer-Schüler- Kontinuitäten, notwendiger
Ablösung der Trägerschaften durch jüngere Generationen
- daß zwei der besten und avanciertesten Komponisten, Nicolaus
Richter de Vroe und Johannes Wallmann, nicht mehr in der DDR
leben. Beide hatten eigenes Komponieren mit einem außergewöhnlichen
Engagement für life-Struktur, für die Organisation
flexibler, offener Interpretengruppen hohen Standards verbunden.
Wallmann in Weimar und Richter de Vroe in Berlin hatten es zeitweise
geschafft, für Aufführungen höchstartifizieller
Musikliteratur wie z.B. Cage zu sorgen, sowie für Uraufführungen
von DDR-Komponisten, die noch am Anfang standen und zugleich
recht ungewöhnliche Wege einschlagen wollten. Über
kurz oder lang aber überstieg die Aufreibung des Organisatorischen,
der kraftfressende Versuch, inmitten ungenügender Steffen Schleichermacher, ebenfalls wie die beiden Genannten ein sehr guter Musiker, gelang es, indem er sich auf seine eigenen Interessen streng begrenzte, die Initiative zu halten: hierorts bisher gar nicht oder zu wenig bekannte Werke von Komponisten der russischen Avantgarde der 20er Jahre, von unbekannten Komponisten der westlichen klassischen Moderne aufzuführen sowie ebenfalls für Uraufführungen zu sorgen. Gesamt betrachtet: ich würde die Situation eine verlangsamte Implosion nennen. Unmöglich ist es den vorhandenen Gruppen, das eigentliche interessante Potential zeitgenössischer Musik zu realisieren, das eine größere Relevanz hat als der klingende Musikbetrieb glauben machen will. Natürlich läßt sich die Kritik des Mißstandes nur zum Teil an die Musiker (bzw. die nicht vorhandenen Musiker) oder an die Komponisten selbst delegieren (gar hinsichtlich vielleicht mangelnder Flexibilität für die Selbstorganisation von Aufführungen eigener Werke - denn: auch die sich rühren, rennen dauernd gegen Wände, und nicht selten bleibt vor lauter unfreiwilligen Abstrichen vom Anspruch nichts mehr übrig). Sondern es verläuft die kulturpolitische Förderung (oder Gewährenlassen) von flexiblen Freiräumen materieller und ideeller Art, von Möglichkeiten des Ausprobierens kreativer Extravaganz und des Experiments, aber auch von stetig aufbauender Kontinuität, deren komplizierte Kunstprozesse auch dringend bedürfen, eben in viel zu starren Bahnen bzw. findet gar nicht statt - innerhalb der gegebenen musikkulturellen Strukturen (wo in der Regel Leute Entscheidungen treffen, die fachlich inkompetent sind und das, was sie fördern sollen, mit ihrer eigenen persönlichen Ästhetik "Würschtel, Bier und ein frisches Lied" bemessen), und außerhalb dessen. Zum Beispiel stoßen die Versuche von Robert Linke, Kompositionen mit Video, Aktion und Malerei zu verbinden, Jakob Ullmanns computertechnisch-artifizielle Partituren und Anforderungen an die Instrumentalisten, auf ebenso materielle bzw. organisatorische Grenzen, wie bei der Auseinandersetzung mit der Bühne (Linke komponiert für Schauspiel, Ullmann mit einem rein gestisch gedachten Musiktheaterstück), die künstlerischen Borniertheiten im Fach, die eingefleischten Selbstverständniskategorien und das Schubfach-Denken des jeweiligen Genres stößt. Letztlich sind es immer ideelle Grenzen. Natürlich sind die Beispiele nicht willkürlich, ich könnte mit selbem Recht andere aufführen. Erstens gefallen mir ihre Stücke, ihre Musik persönlich. Zweitens halte ich die beiden Komponisten in der Generation etwa Jahrgang 1960 für wichtig, und nicht wegen ihres (scheinbaren) Außenseitertums - Ullmann wird kaum aufgeführt, weil er "zu schwer" ist, Linke ordnet sich mit seinen synasthetischen Ambitionen und Aktivitäten nicht in den Kanon sanktionierter Werk- und Veranstaltungsformen ein - sondern wegen der Absolutheit ihrer Ansprüche und zugleich der Kraft, Zuständigkeit ihrer Musik; und insofern beleuchtet das Profil beider mir am deutlichsten die angerissene Situation. Die gesellschaftliche Förderung von Kunstprozessen unterliegt gewissen Kurzschlüssigkeiten (da wo investiert wird, ideell und materiell, soll auch der Soforteffekt, der gesellschaftliche Nutzen herauskommen - absurd! und erst recht für so spezialisierte, empfindliche Bereiche wie Neue Musik). Seit Jahren ist eine Substanzentleerung hinsichtlich kreativen Potenzen zu beobachten. Ich meine künstlerisches Potential, das institutionelle Grenzen im positiven Sinne aufsprengt und im selben Sinne gesellschaftliche Grundfragen berührt. Verzeichne ich das für die avancierte neuere Musik als extrem, vermute und finde ich ähnliches in anderen Bereichen bestätigt. Natürlich gibt es das Mittelmaß, genügend Musikstrategen des Umfelds und genügend Komponisten können davon leben, fördern den Eindruck einer breiten Kultur täuschend ähnlich und hegen außerdem den Wahn, vorwärtsweisend und profilbildend zu sein. Längst wäre eine zentrale Reform der Ausbildungsformen notwendig. Zeitgenössische Moderne muß mehr als ungeliebtes Pflichtfach oder Sprungbrett für exportträchtige Klassiker-Jungvirtuosen werden. Aber eigentlich fängt es schon bei dem gewissen musikalischen Analphabetismus an, den die Schulbildung überhaupt sich gestattet. Ich betone diesen Punkt deshalb penetrant, weil er nicht fern liegt, sondern die Hälfte der Wurzel ist. Die andere Hälfte wäre vielleicht das Bemühen um die verlorengegangene öffentliche Diskussion, um den öffentlichen Dialog, der selbst in den Fachkreisen vereinseitigt. Natürlich gibt es die Fach-Zeitschriften. Aber die Musikwissenschaftler machen sich zunehmend etwas vor, unfreiwillig in einen luftleeren Raum abgedrängt, wenn sie ihre öffentliche Reflexion hinsichtlich Werkstruktur, Interpretation, Aufführungsereignis, Individualbiographie nur ins Verhältnis zu einem abstrakten, in der Benennung seiner ursächlichen Mißstände und Verfestigungen tabuisierten gesellschaftlichen Kontext setzen. Anstatt der Entleerung auch mal an der Wurzel (leider ist das dann der Unterbau oder außerkünstlerische Seiten des Überbaus) zu entgegnen, und sei man noch so ungeübt darin. Ursache und Wirkung sind bald nicht mehr auseinanderzuhalten, und es verwirrt sich der Kausalzusammenhang zwischen Borniertheit überindividueller Strukturen und Borniertheit in den Köpfen. 2 Was der russische Regisseur Anatolij Wassiljew während eines Gastspiels in Berlin (West) auf einer Pressekonferenz äußerte und auf sein Theater zu Hause bezog, nämlich daß das Problem nicht das heutige Theater sei, sondern was aus ihm werde in fünf Jahren, wenn die heutigen Inhalte und momentanen Formen verbraucht seien - d.h. wenn also der Boden für neue Inhalte und Substanzen abhanden geht - das läßt sich als angemessen perspektivische Fragestellung ebenso auf den Bereich Neuer Musik in Theater und Musiktheater bei uns beziehen (übrigens auch sehr scharf auf die szenographische und szenische Zukunft dieser Bereiche). In der DDR hat die offizielle Rezeption der klassischen Moderne - also z.B. der Werke von Schönberg, Webern, Berg, Strawinsky, auch des frühen Prokofjew und Schostakowitsch der 20er Jahre, geschweige denn jener eines Ives oder Varese - sowie die offene Kenntnisnahme der westlichen Avantgarde nach 1950 (u.a. Boulez, Stockhausen, Nono, Ligeti und deren Schüler) erst ungefähr Mitte der 70er Jahre eingesetzt. In der jahrzehntelangen Ignorierung dieser jüngsten musikalischen Entwicklung und Tradition folgte die DDR-Kulturpolitik getreu stalinistischen Vorstellungen und Verdikten, die von fachlichen Vertretern aus dem Inland auch kräftig theoretisch unterstützt wurden. Man will das jetzt vergessen. Da also Aufführungen, Rundfunksendungen, Platten, Noten dieser Musik fehlten (letzteres gibt es auch erst sporadisch seit Anfang der 80er Jahre), fehlt diese Musik bis heute noch weitgehend im öffentlichen musikalischen Bewußtsein, im rezeptiven Bewußtsein überhaupt. Ein absurder Zustand. DDR-Komponisten, solchermaßen bis Ende der 60er Jahre von Weltentwicklung eigentlich ausgeschlossen (u.a. die heute etablierten Vertreter der mittleren Generation), haben sich aber immer 'unter-der-Hand' mit modernen musikalischen Techniken und neuen Wegen des musikalischen Denkens auseinandergesetzt (durch das Studium von Noten, eigenständige handwerklich-ästhetische Auseinandersetzung, durch Schülerschaft bei solchen in der Geschichte noch verwurzelten Vorbildern und Initiatoren wie Hanns Eisler, Paul Dessau, Rudolf Wagner-Regeny). Und diese Generation von z.B. Friedrich Goldmann, Paul-Heinz Dittrich, Reiner Bredemeyer, Jörg Herchet, Siegfried Matthus, Georg Katzer - sowie Friedrich Schenker und Hermann Keller, die sich vor allem mit improvisatorischen Momenten beschäftigen - hat seit den 70er Jahren eine gültige eigenständige Moderne installiert, bemüht, hinter den Standard westlicher Avantgarde nicht mehr zurückzugehen, doch eigene Wurzeln darüber auch nicht wieder zu vergessen. Die, durch die Werke dieser Komponisten letztlich mitbewirkte Öffnung, sowohl hinsichtlich einer selbständigen Diskussion fortschrittlichen Materialdenkens, hinsichtlich neuen Parametern für Sinn und Formen zeitgenössischen Komponierens, und die kulturpolitische Öffnung der DDR nach draußen seit Anfang der 80er Jahre, das Bekanntwerden der Musik jener mittleren Generation im Ausland, die zunehmende Individualisierung dieser Komponisten im Laufe der 80er Jahre, taten das ihre. Der Unterschied zur jüngsten Generation besteht nun vielleicht darin, daß sich die Vertreter derselben - die bereits genannten Ullmann, Linke, Richter de Vroe, auch Schleiermacher (die Schüler von Goldmann) und andere wie Helmut Zapf, Juro Metsk - aus dem allgemein verbindlichen Konsens einer DDR-eigenen Ästhetik und handwerklichen Entwicklungskontinuität (wenn es beides je gab) herauslösen. Zwar ist der Bezug zur politischen Ästhetik eines Dessau, Eisler, Brecht (vermittelt über die Lehrer-Schüler-Beziehung) in den Werken jüngster Neuer Musik auch aufgehoben, aber verschieden prägnant. Ob bewußt proklamiert oder unbewußt im praktischen ethischen und sozialen Verhalten - ästhetische Bezüge erstrecken sich längst auf Komponisten der älteren westlichen Elite wie Satie und Cage, auf jüngere wie Stockhausen, Boulez, Nono und Xenakis, auf die Philosophien beispielsweise des Ives, Thoreau, der Russen der 20er Jahre. Natürlich ist dies nur eine Tendenz, die ich hier als die mir persönlich wesentliche benenne; es gibt diametrale wie den von Udo Zimmermann in Dresden ausgebildeten Nachwuchs, und es gibt in der Ästhetik vermittelnde Richtungen wie die Schüler Bredemeyers, Matthus' und Katzers. Um Wertungen zu vertiefen, sollte der Raum zum Vorstellen jeweiliger Stücke und Arbeiten sein, wozu ich, sozusagen in Fortsetzung, interessieren möchte. Und noch in einem zweiten Punkt fußt vielleicht die Befindlichkeit jüngerer Komponisten, wenn sie denn ernstlich was von ihrem Metier wollen, wobei ich meine Befindlichkeit als etwa gleichaltrige Musikwissenschaftlerin subsumieren darf. Im selben Maße, wie die Werke, die kompositorische Aktivität, die Metier-gebundene Reflexion über Genregrenzen und tradierte Aufführungspraktiken empfindlich hinaustreiben, im selben Maße dehnt sich das Denken und Handeln über die bestätigten künstlerischen und musikpolitisch vorgegebenen Strukturen hinaus, zumindest besteht für einige keinesfalls mehr der Ehrgeiz einer Etablierung innerhalb derselben. Die Begegnung und Auseinandersetzung mit avancierter Musik jeder Richtung, deren Aufgreifen je nach ästhetisch-künstlerischen und natürlich nicht ideologischen Kriterien geschieht, ist selbstverständlich geworden. Auch die politische Funktion von Kunst/Musik, von der Kunstmusik ist weitaus differenzierter zu sehen als es der sogenannte ,sozialistische Realismus' sieht. Ich gehe so weit, daß meiner Generation vielleicht die ständige unfruchtbare Kontra-Projektion (oder undifferenzierte Drauf-Projektion ebenso) auf den Westen, zentraleuropäische Phobien und der schwarz-weiß-Dualismus im Denken überhaupt abhanden gehen. In meiner persönlichen Sicht, halte ich das für eine Chance, was die vorn angesprochenen Entfaltungsräume betrifft. Natürlich wäre genau zu unterscheiden: zwischen inhaltslosem, entpolitisiertem Pluralismus im Denken und Musikschreiben (sprich einer Postmoderne, die von der Moderne, auf die sie sich zu beziehen glaubt, nichts begriff, und insofern gar nicht so heißen dürfte) und andererseits einer bewußt durch Toleranz vermittelten Pluralität im Denken und Handeln (das wäre dann eine Postmoderne, die die europäischen Avantgarde-Bewegungen samt ihren politischen Intentionen und künstlerischen Innovationen begriffen aufzuheben und darin weiterzuführen verstünde). Die Neue Musik stellt sich weniger insular dar, wenn ein Dialog einsetzt, der nicht nur die Oberfläche betastet, sondern der nach den Wirkungsbedingungen jeweils fragt.
1 Es herrscht seit 1917 aufgrund von Vereinseitigungen in der sozialistischen Kunsttheorie der Irrtum, Kunst für das Volk sei das, was dieses sofort versteht, was Lieschen Müller in ihrer momentanen Befindlichkeit bestätigt. Das ist zugespitzt. Aber zur Kunstrezeption gehört Wissen, bestimmte Konvention und Kontextstruktur, und das Wissen um deren Notwendigkeit, seit sich Menschen überhaupt gesellschaflich organisieren. D.h. es wird da nie Deckungsgleichheit geben, und der utopische Gehalt guter Kunst ist gerade dieses ,immer etwas weiter sein'.) 2 In einer frühen Fassung der 14. Szene von "Leben des Galilei" läßt Brecht die Virginia Montaigne zitieren: "Nicht die Dinge verwirren die Menschen, sondern die Meinungen über die Dinge." Galilei reflektiert: "Das ist vielleicht auch falsch. Wer verwirrt die Meinungen?" (Hier zitiert nach: Gespräch zwischen Wolfgang Heise und Heiner Müller, in: Brecht 88. Zum Dialog über die Vernunft am Jahrtausendende, Berlin 1989) (aus KONTEXT 7, September 1989)
aus der hauptverwaltung krusten von
gesellschaftstorten,
philosophie des oberwassers berührte
was mich tief im grund
im namen der namen der chose dein bester
text, gut informierten kreisen mit sumpf und
stil war ein gefühl umschrieben dann den - daß
du dein auge abwärts hältst noch eh materie
in metaphern überführt ist folie für
den fall du willst verstanden sein
maienzieht -
die menschwerdung meines abschieds
pastik und blumen jungfräulicher
rasen? - zu den unterlagen...
splittern von
gedächtnisstützen tanz in allen
wunschruinen in den augenblick
zum ganzen
wege rücken
auseinander, weit. was ist faul
daran, wenn ich mich leide wo mit andern
worten so mein traum sich teilt
baroque balettriste "die blume
in der krone eines baums des herzens
wunsch der eine katze war die krücke
eines schattens eines traums
ob wir nur so tun ist nicht die frage die maske für den karneval der sinne, gedicht genannt, umspannt das ungesagte. es ist kein geheimnis, es liegt an uns, wie eine wüste im gewissen, wir schneiden mit der schärfe des details aus weisheitsbinsen flöten für den tanz des faktomanischen vampirs. in zimmern unsrer zeit sind wir vermutliche tapetentüren. wir führen in das labyrinth der monologe mit den schlüsseln zum gemeinwohl. alles, was uns aufstößt, spottet seiner perspektive. was unsrer perspektive spottet, geht uns ziemlich nah. wir dehnen unser wort in lächerliche fernen. dann: drehen wir die dehnung uns im munde um und: lärmen. gehetzte synonyme, die uns streifen, zaubern lächeln des bedauerns in die spannung unsrer lauer. der fasching der materie findet statt im umgreifbaren. wir sind noch ziemlich vorgefaßt und fühlen uns: genarrt. alles was uns narrte, spottet der bedeutung. wir "vögeln unser" deutsch in seinem buchstabilen käfig, und brechen stab für stab für eine rhythmus der befreiung von den schellen der bedeutung. die sonne der entfremdung gibt den dingen austauschbare namen. wir knien uns in den "schatten zwischen auge und objekt" und bitten unsrem sinnvertrauen ab. der zeitpunkt kommt in fluß, wir legen das umspannende uns an. jetzt sind wir unsichtbar und graben aus der wüste des details die ader für das ornament und geben ihr den pulsschlag des gewissens. wir stimmen für ein aufgeräumtes schweigen und verwechseln unsre träume mit den masken der materie aus dem chaos der ideen. (aus KONTEXT 6, Juli 1989) |
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