Der kleine
Transvestit stand im sechsunddreißigsten Stockwerk auf
einem Balkon und beobachtete die stechenden Augen der Vögel,
die sich mitten im Trubel über die Reste seiner Mahlzeit
hermachten, ausgezehrt gierig, als hätten sie eine Frage
gestellt, und voller Fliegen in ihrem Gefieder, die Schutz suchten
vor dem Wind aus den Testgeländen hinter der Bucht. Was
die Tauben nicht fraßen, aßen die Bettler, die täglich
und unter Aufbringung all ihrer Kräfte an der Fassade hochkletterten
auf der Suche nach einer eßbaren Belohnung für ihren
Kraftakt.
Er hatte also den Balkon voll und in dem Moment, da jemand an
ihm vorbei flog (nach unten) mit einem Kanarienvogel in der Hand,
dachte der kleine Transvestit an das Mädchen mit der leicht
geöffneten Kerbe im Kopf. Während die Tauben und Bettler
auf die Straße hinunterschauten und sahen, wie der Kanarienvogel
den klumpenförmigen Körper seines Besitzers verzehrte,
legte der Transvestit seine Hände auf den Kopf des Mädchens
und spürte deutlich, unter dem dunklen Haar diese mit weicher
Haut überzogene Kerbe. Er schob seine Daumen durch die Haut
und den Spalt in ihrem Schädel, schloß seine Finger
fest um ihren Kopf und brach ihn auseinander, ganz leicht wie
eine angeschlagene Tasse. Er hatte sich auf die Palme gebracht
wegen ihr, vor allem wegen der Geräusche, die sie heimlich,
doch unüberhörbar, in den unmöglichsten Situationen
hervorbrachte. Nun sah er den Horror, den sie die ganze Zeit
mit sich herumtrug, und bevor die Fliegen aus dem Gefieder der
Vögel den zerbrochenen Kopf entdeckt hatten, studierte er
eingehend ihre in den Schädelhälften verborgenen Ängste.
Immer, wenn sie die kleinen Viecher aus ihrem Bett stieß,
dachte sie an das Wappentier ihrer Existenz. Über dem Geländer
eines Treppenhauses, mitten im fragwürdigsten Bezirk ihrer
Stadt, hing ein schlangenartiges Wesen in Schwarz, das aus unzähligen
Gliedern bestand. Als sie die Treppe hinaufstieg, stieß
sie wie zufällig an das Tier, so daß es in seine Einzelteile
zerfiel, die sich als käferförmiges Viehzeug entpuppten
und alles mit Beschlag belegten, ohne jedoch von anderen Personen
zur Kenntnis genommen zu werden. Als die Tiere ihren Körper
befielen, spürte sie ihr feuchtes Kneifen wie die Schweißstoß
in jenem Moment, da sie ihre angeborene Lebensangst bemerkt hatte,
die sie seither mit einer krampfhaften Härte zu tarnen wußte
und Höflichkeit zuließ, einzig um Komplikationen zu
meiden...
Irgend jemand hatte sie zu dieser seltsamen Party mitgenommen
und nach zwei Drinks fiel sie in Ohnmacht. Noch in dem Moment,
da sie das Bewußtsein verlor, ahnte sie, daß ihr
etwas Giftähnliches in die Drinks gemischt worden war...
Als sie erwachte, sah sie sich von einigen ihr scheinbar bekannten
und stark grinsenden Gestalten umgeben, die ihr zu bedeuten schienen,
daß etwas Ausgefallenes mit ihr geschehen war. Sie begann
lang anhaltend zu husten. Danach mußte sie hart aufstoßen
und bemerkte, wie etwas Fußgroßes in ihr aufstieg
und ihre Mundhöhle schmerzhaft ausfüllte. Sie konnte
nicht feststellen, um was es sich handelte, obwohl es sich zu
bewegen schien. Doch als ihr eines der grinsenden Geschöpfe
einen Spiegel vors Gesicht hielt und sie ihren prallvollen Mund
leicht öffnete, sah sie eine relativ untersetzte Maus mit
speichelfeuchtem Fell, die sich durch ihren Umfang im Rachen
des Mädchens eingeklemmt hatte, also weder nach unten noch
nach vorn zu bewegen war. Sie überlegte, wie sie das Wesen
aus ihrem Mund entfernen könnte. Die Maus zu zerkauen schien
die einzige Möglichkeit, die nach Abwägung aller Umstände
übrig blieb und während sie gemächlich ihre Zähne
durch das Fell in die kleinen Sehnen und Knochen trieb, dachte
sie darüber nach, wie das Tier in ihren Körper gekommen
sein konnte. Es war nicht ganz einfach, da ihr ein Stück
Erinnerung fehlte, doch nachdem sie die in Betracht kommenden
Varianten durchgespielt hatte, glaubte sie zu wissen, daß
ihr jemand die Maus vaginal eingeführt haben mußte
als sie ohnmächtig am Boden lag. Sie war sich nicht vollkommen
sicher, aber sie spürte ein leicht beunruhigendes Gefühl
in der Scham.
... Und nun, da dieses ganze Dreckzeug auf dem Balkon verteilt
lag, bekam der kleine Transvestit zum erstenmal eine Ahnung davon,
warum sie ihn abgelehnt hatte... Ihn fror und er stieg in ihren
Morgenrock, der wie immer an derselben Stelle hing.
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Johannes Jansen
Texte
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Seit je findet
der Schrecken seine beiläufigste Gestalt in der Zeichnung.
Der Schädel und die Sense zehn Striche für den
Schnitter Tod. Die Emblematik verband das Bild und die Worte.
"Memento mori". Doch das Reich der Zeichen ist längst
explodiert, die alten Zuordnungen funktionieren nicht mehr...
In ihrem schwarz eingeschlagenen Handbrevier für paranoide
Hochstapler und coole Apokalyptiker haben Antje Kahl und Johannes
Jansen munter die graphischen Kürzel aus unseren bildbeschwerten
Köpfen extrahiert und mitsamt prekär angepaßten
Textbrocken zu kleinen, sozusagen postemblematischen Bomben aufgerüstet.
Die fragmentarische Schreibweise und die schriftdurchschossene,
vor Dichte vibrierende Art zu zeichnen des Johannes Jansen sind
bereits seit ein paar Jahren bekannt. Jetzt hat er seinen Stil
mit den lakonischeren und dekorativeren Bildformulierungen Antje
Kahls gemischt. "Alpträume, leicht gemacht" könnte
das Arbeitsmotto der beiden lauten... Das ist so schlicht und
so mehrbödig, so komisch und so böse, so luftig und
so schwarzgallig, so flach und so hintersinnig, daß es
einem heiß und kalt den Rücken runterläuft. "Unsereins"
heißt dieses literarische, graphische und typographische
Kabinettstückchen ganz eigener Art, und hellsichtig preist
es sich selbst an als "zweifelhaft künstlerisches in
einer sehr vollkommenen Form (möglicherweise)". So
ist es (augenscheinlich).
Hubert Winkels,
Die Zeit
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