eberhard häfner

jayne-ann igel

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Inhalt

Eberhard Häfner GEDICHTE
Jayne-Ann Igel TEXTE

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Eberhard Häfner GEDICHTE

 

UND WIEDER ZEUGEN SIE AUF KRONE

aufbötig dieser larmoyance in rand & bande
war ich wie ich war
außer mich geraten & tafelrund
wie einer der sich mopst & klecks
mein herr von odezissimus beseelt
triumphaselt zeitgenössisch

zwischen den sonoren flaschen
die er alle ausgetrunken hat
im wurmfortsatz des populi
wühlen seine hinter glas gemalten
irrgewitztes blickfänglerisch

draußen geht ein baum
ein maus & ausgeflippter
alemannisch moderiert das satzgefüge
auf die plätze fertig los

ausgeblendet & die blauen zweige kentern
ins entlaubte ist es mir erlaubt
wie's aussieht wenn ich hänge & dahinter
die kandierten transpirieren
entgeistert aus'm stuhlgang zustand ablesen
brenn & pennstunden hast du gesagt
aber ich kann's keiner mundgerecht machen

so schliefen wir hin & wessen
lautpaarung trugschlüssig
drei meilen gezontes
in trotziger fernung entfärbt
das rosige etwas in blässe

darauf kam wind warm aus'm dün
alles schwindel hinsichtlich
bist du geboren & gepudert
kleine ode mit ton
vermutlich alles andere als friedlich
wenn ursacher augenfällig
ins falläugige steigt
blaukohl zu blaukohl

miniatürlich verliebt & gebildet
schied ab gedrückt ins entrückte
von sinnen & dannen gebrochen
markiert ein riß das quartier
& querulantet ins ersteinte
wo's erstaunte selber sichtet
wetterfesten kietz & lust verspürt
durch aufgaben & zugaben

kann kippnatur gefühl anheuern
weil's wesentliche anwesend & sinngemäß
geht's licht an wenn's am ausziehen liegt
im verzögern das entzücken
& weil's nicht nur
luxus gibt in mitteleuropa
nimmst du 'ne kopie mit ins bett & tabletten
& wieder aufstehst
deinen traum aus'm fixierbad holst
absolution

scheingeladen als einlage bei dir
gelegentlich mit'm absatz neue zeile
träumerei die worte zerbrochen
rumpf aufrichtig während kopf
benommen durch genitiv & ähnliche besitzanzeiger
irgendwie wieder einsteigt

 

 

JEREMIA WARNT VOR DER AUSWANDERUNG NACH Ä...

da traten herzu alle kunden
der sohn kareachs jasanja der sohn hosehajas
undsoweiter undsoweiter groß & klein
& sprachen zum kollegen jeremia rede
für alle die übriggeblieben denn
es steht geschrieben
ohne schweiß keinen reis auf'm herrnrad
saß fritz abseits im sattel
nach zehn tagen herrnrad zu jeremia
vierhundertfünfundneunzig mark neu
im laden wo sich jeremia befragt
sind räder mit freilauf ausverkauft
sollen im land bleiben

fritz bricht zusammen
opferanode
emailliert auf allen vieren
erkennt von hinten zwei längliche hoden
griffige mischbatterie vom badeofen
müde getragener stern & rotberingt
warmwasserventil
viele müssen gefangen gehen bis zum anschlag
drehen warten aufladen
tropfen des laufes hält er nicht aus
normales ventil
nachstellen

 

 

WIESO SIND WIR ALS VÖGEL FREIER

amen & bemen & cemen gesagt & nicht mehr
oder weniger der ehrlichen haut zu liebe
aufgetragen so schien es halsüberkopf
libero auf familienfoto
zweibeiniger weibianer in rufweite agoniens
multivalentes arsenal translustet
ins kultische klima

geschossen einfach so ins jungfräuliche kraut
girlandet wo sie leuchtkraftet
schräge erträgerin gejagt & angenagt
zwischen belletristen schlicksalen
elegischen stückzahlen sollst du begreifen
pompöses als möse & 's gemüse direkt
schnitterlaucht leibhaftig das mandat
fressen oder paaren

der beute gram & gerede um nichts
nicht ausgestanden sendungen über endungen
alles was umtreibt abessen
pikante schreibweise aus'm gesicht lesen
gleich bist du frei verfügbar
zentral & ohne akzent teilnehmer
höre ich dich schreien

so leicht bist du bei stimme solo
emporkömmling macht's möglich
stand der dinge angesichts der sterne
anderer quellen unbekannter kunden
lider schließen farbe schlucken
untertage blühet augenweide

vogelperspektivisch beide geradewohlen
aspekte wechseln weil joker beim poker
kümmert uns einen dreck & 's glück
wange an wange
liegt flach & obdachlos kam's

später liegt's rohr freigiebig in reichweite
sterne prangen abgebranntes anzufachen
samt & seide dasjenige
diesseits im diesigen jenseits
geiert einer zweigerichtet
wie's üblich ist unter vögeln
räkeln sich zweige & 's gesäß obenauf
worauf es ankommt & hinausläuft
im goldenen ätsch

 

 

NO WOMEN NO CRY NO CORNFLAKES

es ist zu spät um gute nacht zu sagen
du nimmst den hut nicht ab zum kuß
weil deine hand zwischen zenit & nabel
meine vertikalen kräfte ruft
mit kennerblick entdecke ich
wasser lassen zigaretten in der küche
wandert alles was wir lieben in den mund
eine hinterhoflaterne berlinert durch den tüll
das verzwirnte wortgeflecht im doppelbett
bleibt immer einer wach
madman the ghost of rails
das besondere an seinem pyjama
waren die jamaikastreifen
unter dem motto wie komm ich ans konto
war ihr haar noch sattelwarm
scheibten geigenwischer
no women no cry no cornflakes
das peitschenlied wird mitteleuropa
auch nicht verbessern

 

 

SCHUNKELN ALLE AUF DER SCHOLLE

zeigt sich's seitenweise eingebrochen
schichten die verdichten & unverbindlich machen
was verwundet war im grunde abgedriftet
durchgesickert auf die haute volée
"kristenlich der babest lachet
zwei alemannen unter eine kron' gebracht"
fein ausgedacht die dame durch rochade
bis endlich züge rollen & ehrliche züge wanken
öde bilderfetzen mich ins bild entsetzen
wo's taufrisch aus mülltonnen quillt
sich anfühlt & innerlich bleibt
mitunter biolocken ihresgleichen reih zu sein
wohin sie notlanden

ob ich auf'm bauch liege oder 'n schlauch halte
lider geschlossen & kein blut vergossen
rituale engelszungen & konsorten extrafein
scheingefochten loch am lech
wo die lache krachextraktet
stiller herzschweiß aus den augen rinnt
literate ich & gratuliere dem papier
stellvertreter auf der stelle treten hangover angle

er war kein muskelprotz
ein aruskel in der falle hemm & dämmerung
maskulint erlauchtes & erlauschtes katzengrün
männer nämlich steingemeißelt
wo es heißt empörerinnen
stören unsere kreise & gezeiten
müssen selbstverständlich weiblich sein
von sinnen wahnen sie im rahmen des gesagten

prost besatzung daß mir keiner überläuft
oder minne mimen kurz & bündig
währt's entzücken wem's widerfährt
wenn's brennt & 's temperament
besonders schürt wie's männer mögen
göttinnen gattinnen
Wer's erschwert hat
Macht
wer's Wort hält
ein Wortheld

ihm zittert noch die weiß-nicht-was
sie tut's
in gewissen nöten nehme er's nicht krumm
wenn's zitat dem täter & gänsefüße oben
ist was durchgesickert bis zum knick
eingenistet oder ausgerechnet
wer hat's glück erfunden
wenn ich unten bin
alle fräuleins weggelaufen sind
scher' ich mich 'n dreck um literatur
springt das wort aus'm bild

wer's erschwert hat
Bildung
wer's Wort hält
Geltung

schatzinsulin intus gehabt
was begabung voraussetzt & wiederum
vor'm aussetzen abrät mein fräulein
empfänglich für kintopp & schließlich
'n nickerchen damit's gerecht zugeht
kurz geschlossen in den schoß geblasen
säkulare & sakrale madrigale
dort gewichtig hebt & hier
aufgeklebt verlottert

 

 

SUITE

odins diener manifestet
streckenweise schrecklich weise
schlangen scorpions feuerpferde
in der wermutsteppe tief adjekten
was auch heißen kann hebräisch abaddon

flotten vierer ganz & gar in sex bebadet
sah & hörte ihre schwänze munden
mit den köpfen schmissen sie den laden
stattgefunden eines saturdays

sein liebchen lag im gras & er im stoff
ausgekochter fantasien & sie
eurasende begierde zur ader ließ
hinreißen sogenannen zeugen
zwischen engeln & angeln die erde

oh tanzt apokalypso genüßlich
der akrobatenschädel kahlt
für's theater zahlenmäßig flattern
eingepfercht in urnen ihre stimmen
aber der novack läßt sie nicht verkommen

darf er erinnern wie's war äußern
zugleich alles was schwebt lebend eindeutschen
wenn's liebchen 'nen trieb
nicht los kommt weil treu aus
oder tod ist was steht
's einäugige herz auf molliger tour
flankiert von odins schwarzem diener
immer mehr & nimmermehr
mit einer unbekannten kollidiert

ora et labora neutral gewagt
duft lokal in luft auflösen
in diesem fall
dicht am abend licht gesehen
götter speisen wo sie tafeln
bleibt die spucke weg vom händedruck

mörder im märzen sein herz bestellt
wir sind auf sendung & melden
endlich farbe genießen & bekennen
wie nennwert auf'n kurs kommt
nach angstschwelle die druckwelle
hoppla population
kam von hinten um nichts zu finden vorn
lag in agaven sein hintersinn
von sinnen war

(aus KONTEXT 2, April 1988)

 

 

Jayne-Ann Igel TEXTE

 

DAS GESCHLECHT DER HÄUSER GEBAR MIR FREMDE ORTE

häuser, deren stimmen in mir währen, als habe ich in ein offenes grab gesehn, so voll schwerer luft, entzündet von den gasen, die wir ausatmen, der hausrat auf den dachböden bedeckt sich mit der schweißschicht unbewegter jahre, und rost nistet in den kellern, den gedächtnisstätten, gleich
termitenschwärmen

nie berührte ich deinen grund, umhegtes haus, nie flüchtete ich deinen schatten, die über mir sind mit ihren balkonen aus blauem wasser, umfangen von der salpeterhand, ich seh deine fenster ermüden, sich ringe bilden unter ihren lidern, und immer suchst du mich heim, unterwegs, mittels deiner vielfingrigen schatten, mittels der scharfschützen sonnenlichts

von versteckten luken her; worte aus ziegel umgeben mich, in ihnen währt der ton von jahrhunderten, den ich mit fingerkuppen erkundete, unsere häuser sind höhlen, in den freien raum getrieben, doch deren zinnen sind die zinnen von zitadellen, stumme portiers bewachen die portäle, deren mund mich nie empfing

 

wer mag mir heimstatt geben, wenn ich ermüdet bin, in wessen schoß von händen leg ich meinen kopf, und höre die eine große stille, die aus dem inneren der mutter dringt

die der stille des spieles gleicht, da erdkrumen wie käfer sich auf meinen handteller bewegten, angefeuchtet vom lippenpaar eines trunkenen himmels, der mit seiner last die zweige der büsche knickte

unter denen wir wachten & schwiegen; wir mündeten in einen raum, aus dem rattern der züge geschaffen, das von bahndämmen herüberklang, die ich nie zu gesicht bekam

so oft ich auch dem signal der lokomotiven folgte, über die einfriedungen der gärten hinweg, und die siegel des himmels brachen, sprachen das erlösende wort, doch dann währte nur das rauschen deseigenen blutes im ohrin die herde getrieben war ich, wie leicht dünkte mir der anstaltskittel, den ich trug, gezeichnet mit den malen vom ausfluss der nacht

in die herde getrieben war ich einer der ihren, von den hütern auserwählt einer der ihren mit meinen angstgesichten, schaum vor dem mund

der in blasen explodierte; der herren opfertier schlug um sich, nur ohnmacht galt es zu erringen mit spielen, die in die leere des tages griffen

und jeder kämpfte gegen sich selbst um den inneren feind, beobachtet unter dem mikroskop der spione, gestalten harrten unserer regungen im schatten

des hauses, in das ich mit meinen trieben hineingewachsen war; das kathedralgebirg vor dem fenster, jene ausgeburt erlittener pein, versank

wenn ich mich legte, das weiss der wände flackerte blakte erlosch, sonntag in den zellen

 

ich folgte dem lauf des flusses, seinen schwarzen wassern,
begrenzt vom dickicht der gräser, ihrem sirren, und der fluss
bedeckte seinen lauf, als ich abends auf einer brücke verharrte,
er verdeckte ihn mit dem geflecht der nebel, die aus dem inneren
des ufersaums quollen, elfenhafte gestalten verbargen den ton
die bewegungen der wasser vor mir, die angereicherten gerüche,
ich verliess die brücke, deren gestein mit einer netzhaut von
reifablagerungen überzogen war, fremd glitzernd von sternen,
und ich stieg weiter hinab, zur mündung des flusses,
wo er mit salven diffusen lichtes meiner harrte

 

das geschlecht der häuser gebar mir fremde orte, und ich schlich an den pforten vorbei, hoffend, dass sich deren mund nicht öffnete

ich schaute durch die fenster in wohnstätten hinter glas, räume begannen sich zu regen unter den berührungen der lippen meines augenpaars

wie oft begehrte ich nächstens die archen voller licht, in die ich wie in eine ferne zeit sah, die nur in abbildungen überliefert ist
und was sich bewegte, bewegte sich ohne geräusch, ich sah die gestalten meiner träume vom krieg, die stumm neben mir in kellern hausten

in die kein ton drang, getränkt von den trüben wassern laternenlichts, und ich erwachte, wenn dunkel aus den fensterhöhlen rann

 

 

NACHT - KONSTITUTION EINES THEMAS

ich sah die Nacht in der Mundhöhle meiner Mutter verborgen, wenn wir sie beim Schlafen beobachteten, sie schlief offenen Mundes & ich schaute in die Finsternis, die nach & nach von ihrem Körper Besitz ergriffen hatte während der Mittagsstunden, und ich erfuhr diese Nacht, es war nicht die Nacht verdunkelter Zimmer Eisenbahntunnel Kinos, die hier aufging, es war die Nacht, die in den Körpern der Menschen Dinge währt & waltet, in die ein Mensch sich zurückziehen mag, mit sich allein

und ich seh die bierholenden Knaben durch die Siedlung zum Gasthaus ziehen, Krüge werden abgefüllt & weitergereicht, die Knaben bilden die Kette zur Nacht der Eltern, zur Finsternis, die in deren Kehlen gerinnt; Sprache anderntags vergessener Versöhnung, Sprache kurz vor Zwölf, fahriger werdende Gesten, den Leichnam dieses Abends für sich zu retten, und in Alpdrücken rücken immer näher die Wände des Gevierts, ich seh die Gläser in der Küche mit dem Abdruck von Lippen, Reste farbiger Flüssigkeiten noch auf deren Grunde, und die Laute scheinen noch in ihnen, die unter die Decke eines kindlichen Schlafes drangen, Spuren eines Ascheregens, niedergegangen im Raum zwischen den Worten, und die Kinder sind unsere Vorfahren, sie sprechen einen in mir begonnenen Satz weiter, sie sprechen meine Kindheit, sprechen mich in ihrem Sterben, sie treffen mich in ihren Anfängen, kennen das Kind in mir, das ich einst war; die Kinder wissen um ihre Schatten, die sie nach den Dingen ausstrecken, vor dem Überfahren retten, sie ertasten die Augäpfel der Laternen im Schlaf, die Schläfen Nasenflügel ferner Planeten, die sie tags nachmodellieren, wir verfolgen sie in ihrem Erkundigungsgang, belauschen die im Traume sprechenden Münder

von den Mundwinkeln lösen sich Blumen aus Schaum beim Sprechen, wir sind unvergänglich in unserem Sterben wie diese Blume, zwischen die Grabplatten der Biertische gesät, unvergänglich sind wir in unserem Sprechen, sprechen wir uns selbst & die Gesichte, die wir haben, spüren wir den Atem anderer Lebewesen & lassen ihn sprechen, es sind nicht der Wein das Bier der Schnaps, es sind die Überblicke, die Vor & Nachreden, die uns sprachlos machen, Heere von Stammtischadvokaten, die die Worte beim Bier bestimmen & kursieren lassen, und die Trunkenen unter der Kneipenampel warten auf ihre Bahn, vereidigen jene, denen sie ihre Geschichte erzählten

ich lausche den Gestalten Geräuschen von Nacht, es ist die menschgemachte Nacht von Presslufthämmern Sprachen, den Schritten des Nachtmar, die in meine Räume einzieht, es ist die Nacht des Schweigens der Gräser Sterne, der Geburt einer neuen Sonne aus dem Mutterschoss Erde, ihrer Feier, und die Nacht erweitert meine Räume durch Traum

 

 

DER GEZAEHMTE. EIN SELBSTGESICHT

die kinder bildeten eine gasse, wenn der als irr geltende knabe, den die familie des ortes beim hause hielt, auf dem teerwege der siedlung ging, sich in augenblicken verschenkend, wenn er von seinem jähzorn abgelassen hatte & die angstgesichte hinter einem fächer aus lächeln verbarg; dort lief der bedauernswerte spross seines geschlechts

wer so lief, auf krummen beinen, die knie im stumpfen winkel, die schuhspitzen einander zugewandt, lief über dem onkel sich selbst in die quere, wer so lief wie er, lief nicht rund & also geradewegs in die nahe anstalt hinein, in der man gestalten beobachtet hatte, kurioseste bewegungen

blicke aus den fenstern längs der gasse hielten ihn auf der mitte des weges, der seiner harrte mit den ausgeburten des rinnsteins, die er zur pein des läufers hervorgebracht; der gezähmte beschleunigte den schritt, stolperte, hielt inne, flüchtete in die höhlungen des buschwerks hinein, er liebte die stillen umwege...

 

 

DER ZOEGLING

war ich endgültig gefangen, als ich ihre sprache lernte, meine stimme ein vogellaut, der mich ihnen bewahrte; sie hielten mich am hause gleich dem rebstock, dessen triebe sie beschnitten, dass er die zimmer nicht verdunkele

und dicht bei der mauer des hauses spielte ich, unterm lichte trocknender laken, die finger durchlöcherten den putz, nicht missen mochte ich den leibhaftigen klang meines namens, der nach urin roch; die meinen namen in ihrem munde führten, hielten mich mit den zähnen fest am genick

 

 

sie ragten gleich gewächsen aus den fensterhöhlen längs der strasse, den hölzernen kreuzen verwachsen, ich gewahrte immer zu spät die sich herabbeugenden leiber, die mit ihren zungen von meinen lippen das lied nahmen, in dem ich, ihrer ansichtig geworden, jäh verstummte, die mich befangen sahen im gebahren meines körpers, den ich vergessen hatte

sie beugten sich herab oder verharrten unbewegt hinter dem glase der pupillen, sie lauschten meinen regungen, denn ich war ihnen ein mund, der sich vor ihnen verschlossen hatte; ich wagte nicht, ihr gedächtnis anzutasten durch eine das geschehen unwirklich machende gebärde, nie wagte ich, das gesicht vor ihnen zu verhüllen, in mir währte die furcht, sie könnten auch meine scham entdecken

unerreichbar meinen fingerkuppen erschienen mir die leiber der statuen, hochdroben, deren substanzen ich nicht kannte, ich lobte ihre verschwiegenheit, die mich gewähren liess, ich liebte die steifheit der glieder; nie hatten ihre lippen die feuchte der zunge gespürt, nie die feuchte anderer lippen, die krume erde im mund

(aus KONTEXT 6, Juli 1989)

 

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